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Filmen für den Teamgeist

Trommeln, Klettern, Floßbau – beim Teambuilding gibt es kaum etwas, das es nicht gibt. Das erhoffte Ziel wird allerdings nicht immer erreicht. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit sich die Aktion auf den Firmenalltag übertragen lässt? Ich berichte über ein Mitarbeiterteam, das einen Film drehen sollte – und eigentlich gar keine Lust darauf hatte.

Einmal im Scheinwerferlicht stehen und Teil einer Filmcrew sein … Wer hat nicht schon mal davon geträumt, in eine andere Rolle zu schlüpfen und Dinge zu sagen, für die einem normalerweise der Mut fehlt?

Geschäftsführer Sönke Bergemann von Haus & Grund in Kiel, einem Verein privater Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer, war sofort Feuer und Flamme, als er von der Idee hörte: Das Servicebüro sollte in ein Filmset verwandelt werden. Er hatte seine Mitarbeiterinnen schon einige Aktionen ausprobieren lassen, um den Zusammenhalt im Team zu stärken: Sport, Ausflüge, Trainings. Doch ein Erfolg wollte sich nicht einstellen. Bergemanns Fazit: “Wenn der klassische Werkzeugkasten nicht greift, dann freue ich mich über neue Werkzeuge“.

Anfangsschwierigkeiten
Der Vorschlag für die filmische Interaktion kam von der Initiative „Unternehmen! Kulturwirtschaft“ am Nordkolleg Rendsburg. Leiterin und Kulturmanagerin Lena Mäusezahl plante sie im direkten Austausch mit Haus & Grund. Die Strategien und Methoden entwickelte Mäusezahl gemeinsam mit den beiden Projektleitern, dem Filmemacher Hanno Hart und der Drehbuchautorin Gabriele Kob. Statt vorgeschriebener Aktionen sollten die Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle viel Freiraum zur eigenen Gestaltung erhalten.
Doch die sechs Frauen sind skeptisch: „Eigentlich wollen wir das nicht. Wir haben schon mehr als genug zu tun! Warum sollen wir ausgerechnet ein Kunstprojekt machen? Damit haben wir nichts am Hut! Was hat das mit uns zu tun?“

Ängste im Gespräch nehmen
Lena Mäusezahl kennt solche Bedenken. Als Mittlerin zwischen Kunst und Wirtschaft hat sie diese Sätze schon viele Male gehört, von Mitarbeitern, Personalchefs und Geschäftsführern. Sie nimmt die Einwände und Zweifel ernst, hört geduldig zu und präsentiert Gegenargumente. Damit die Projektidee nicht gleich im Keim erstickt, nähert sich Drehbuchautorin Gabriele Kob den Frauen in einer „Forschungswoche“. Kob lässt sie Fragebögen ausfüllen und hakt nach. Sie holt jede Mitarbeiterin in ihrer persönlichen Erfahrungswelt ab: Welche Serienheldin findest Du sympathisch? Warum magst Du gerade sie? Welche Eigenschaften schätzt Du an ihr? Wärst Du auch gern mal so kompromisslos? Kennst Du ähnliche Situationen, wie die Heldin sie erlebt? Wie reagierst Du, wenn Dir so etwas widerfährt?

Gabriele Kob erklärt, worum es ihr bei den Recherchen geht: „Das Unternehmen kennen zu lernen, nur Augen und Ohren aufzumachen, die Atmosphäre zu schnuppern, den Ton im Hause wahrzunehmen und zu erspüren, wie Menschen hier miteinander sind. Das war mein erstes Bedürfnis.“

Eigeninitiative und Eigendynamik
Der Funke springt über. Als Gabriele Kob zum ersten Treffen kommt, präsentieren ihr die Mitarbeiterinnen schon eine richtige Serienidee. Kob ist begeistert! Jede Frau entwickelt für sich eine eigene Figur, überlegt sich ihren Lebenslauf, entwirft ihren Charakter und das passende Kostüm. Ein Drehbuch wird geschrieben und die Rollen von den meisten Frauen auch selbst gespielt. Sie lernen sich dabei von einer ganz neuen Seite kennen. Gefilmt wird mit dem Smartphone, dann folgt der Schnitt.

Gabriele Kob beobachtet, dass die Frauen immer mehr Eigenverantwortung übernehmen und deutlich mehr Energie investieren als anfangs gedacht: „Immer waren alle bereit, sich auf Experimente einzulassen. Das war mutig und nicht selbstverständlich.“ Paola Weber, die Geschäftsstelle leitet und beim Filmprojekt in eine Gastrolle schlüpfte, bestätigt: „Es geht um die Risikobereitschaft, den Prozess nicht steuern zu können. Dabei genießen wir den frischen Wind, den die Künstler ins Haus bringen und wir haben Freude daran, unseren Mitarbeiterinnen mit diesem Pilotvorhaben eine ungewöhnliche Reise zu ermöglichen.“

Meist kommt alles anders
Ein Servicebüro ist ein Mikrokosmos sozialer Interaktion. Die Mitarbeiterinnen wissen morgens nie, was der Tag bringt. Wer offen ist, kann mit unvorhersehbaren Ereignissen besser umgehen.

In der Geschäftsstelle von Haus & Grund gehen Menschen ein und aus, die Rat und Unterstützung suchen oder sie telefonisch erfragen. Im Vordergrund steht der Servicegedanke: Hilfesuchende sollen bei den Mitarbeiterinnen auf Verständnis treffen. Das erfordert Empathie: „Am Freitagnachmittag kurz vor Feierabend genauso wie am Montagmorgen“, sagt Geschäftsführer Bergemann. 11.500 Mitglieder sind im Verein in Schleswig-Holstein organisiert, private Haus- und Wohnungseigentümer, Vermieter sowie wie Kauf- und Bauwillige. Das gemeinsame Ziel ist die selbstbestimmte Nutzung von privatem Haus- und Grundeigentum. Der Verein berät in juristischen und wirtschaftlichen Fragen, informiert über den Bau und die Instandhaltung eines Gebäudes und bietet unterschiedliche Serviceleistungen an.

Wo Menschen aufeinander treffen, entsteht Reibung. Mancher Besucher oder Anrufer macht seinem Ärger auch schon mal ungefiltert Luft. Emotionale Befindlichkeiten mischen sich mit Sachproblemen. Wie reagiert man darauf?

Reflektion und Transformation
„Letztlich ist jedes Telefonat ein Schauspiel“, meint Geschäftsführer Bergemann, „und jeder Kundenbesuch ist eine Szene.“ Es hilft durchaus, wenn man sich in bestimmten Szenen oder Rollen wiedererkennt, wenn man Erlebnisse oder Erkenntnisse über die Interaktion hinaus reflektiert und in den Alltag mitnehmen kann. „Der Film ist immer noch gegenwärtig bei uns“, sagen die Mitarbeiterinnen einige Wochen danach. „Jede Geschichte, die man erzählt, jede Figur, die man erfindet, hat etwas mit uns selbst zu tun. Man kommt an Gefühle und entdeckt Beziehungen. Die Figuren entwickeln ihr Eigenleben.“

Gabriele Kob nennt das Agieren vor der Kamera „eine Aktion mit Ventilcharakter“. Christiane Zimmermann-Stock, Rechtsberaterin im Servicebüro, ergänzt: „Auf spielerische Weise können Konflikte im Unternehmen thematisiert und filmisch gezeigt werden.“
Wenn es in Teams knirscht, liegt es meist an unterschiedlichen Persönlichkeiten und daran, dass mehr übereinander als miteinander geredet wird. „Emotionen sind in diesem Projekt ausdrücklich erwünscht“, erklärt Filmemacher Hanno Hart, „hinter die Fassaden des alltäglichen Miteinanders im Büro zu schauen und eine Gruppendynamik zu schaffen, die spürbar und bewusst erlebt wird.“

Nachwirkungen
Die gemeinsame Arbeit an der Filmserie hat die Mitarbeiterinnen im Servicebüro zusammengeschmiedet. Sie haben sich aus anderer Perspektive kennengelernt, sind über sich hinausgewachsen, haben sich mit Spaß und Humor ungewohnte Aufgabenbereiche angeeignet. „Das Team hatte ein neues, eigenes Projekt und damit ein gemeinsames Ziel außerhalb des gewöhnlichen Arbeitsalltages“, resümiert Lena Mäusezahl von der Initiative „Unternehmen! Kulturwirtschaft“. Vier Monate dauerte die filmische Aktion mit insgesamt 24 Treffen. Neben dem Hauptfilm entstand auch ein „Making of“, das den Projektverlauf hinter den Kulissen zeigt.

Lena Mäusezahl ist es wichtig, die Mitarbeiter einerseits aus ihrem Alltag zu entführen und sie andererseits wieder dorthin zurückzulotsen: „Damit die Erfahrungen aus der Interaktion eine nachhaltige Wirkung erzielen können, müssen vor allem die Geschäftsführung aber auch die Mitarbeiterinnen weiterhin aktiv bleiben.“

„Unsere Mitglieder sind grundverschieden – wir sind für jeden da!“ beschreibt Götz Bormann, Vorsitzender des Vereinsvorstandes, die Philosophie von Haus & Grund. Was für die Mitglieder des Vereins gilt, gilt auch für die Mitarbeiter. Der Film hat den Gemeinschaftssinn gefördert und zugleich das Unternehmensimage. Mit diesem ungewöhnlichen Projekt hat sich Haus & Grund Kiel um den Deutschen Kulturförderpreis beworben, den der Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI jährlich auslobt.

Quellen und Inspirationstipps:

• Initiative »Unternehmen! KulturWirtschaft« am Nordkolleg Rendsburg
Gabriele Kob, Drehbuchautorin
Hanno Hart, Filmproduktionen
Haus & Grund, Kiel – Eigentümerverband
Schleswig-Holstein. Die Kulturzeitschrift für den Norden. Ausgabe 2-2015: Künstlerische Interventionen.
Prof. Dr. Ariane Berthoin Antal vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

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