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Bürgerteilhabe und Kreativität in Politik und Verwaltung

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Trampelpfade machen verfehlte Verwaltung sichtbar. Wenn Bürger nicht gefragt werden, ignorieren sie die behördlich angelegten offiziellen Wege. Gelingt hingegen die Einbindung der Öffentlichkeit, führen Aktivitäten von Anfang an in die richtige Richtung. Doch dürfen eigentlich auch Beamte Bedenken äußern, wenn ihnen Entscheidungen von oben sinnlos erscheinen?

Darf ein Beamer zweifeln und selbst entscheiden?

  • „Fragen Sie mich doch mal, wie ich darüber denke! Fordern sie mich mehr heraus.“
  • „Ich würde sehr gerne einen Beitrag leisten, damit Verwaltung kreativer wird.“
  • „Ich bin seit 20 Jahren in dieser Organisation tätig und möchte gerne zur Veränderung beitragen!“

Kreativität, Innovation, Lebensfreude? Begriffe, die man mit Verwaltung eher nicht verbindet. Doch sie ist beweglicher als ihr Ruf! Behördenmitarbeiter wollen durchaus dazu beitragen, dass ein frischer Wind zwischen ihren Aktenordner weht. Aber viel zu selten werden sie beteiligt. Im Gegenteil: Meist werden teure Berater von außen geholt, die das System von innen nicht kennen und zu allgemeine Pauschallösungen von außen überstülpen wollen. Das sorgt bei den eigentlichen Mitarbeitern häufig für Frust!

Rahmenbedingungen und Methoden

Den Beamten fehlt einerseits der Freiraum, ihre Beobachtungen und Ideen zur Veränderung auszusprechen, andererseits aber auch das Handwerk, um Veränderungen umzusetzen. Deshalb haben der Stadtforscher Charles Landry und die Autorin Margie Caust das Konzept der kreativen Bürokratie entwickelt, benannt nach dem gleichlautenden Buch The Creative Bureaucracy. Es geht den beiden darum, nicht nur funktionierende Bürokratien zu schaffen, sondern auch kreative und innovative. Dafür braucht es besondere Rahmenbedingungen und Ansätze, spezielle Methoden und Strukturen.

Was läuft besser mit kreativer Bürokratie?

Eine offene, flache Kommunikation in der Verwaltung, eine Beteiligung und ein Perspektivwechsel begrenzen öffentliche Kosten, etwa bei der Verkehrsplanung, bei der Jugendbeteiligung in den Quartieren oder bei der Verständigung über Tourismus-Leitbilder. Fehlt das alles, dann mißlingen Projekte, etwa wenn externe Agenturen für Bundesländer austauschbare Slogan schmieden (z. B. Brandenburg: „Neue Perspektiven entdecken“). Teilhabe verringert geistige Einbahnstraßen, weckt Phantasie und Toleranz und erhöht die Akzeptanz von Entscheidungen. Wenn Kreativschaffende und Künstler beteiligt werden, kann das nur von Vorteil sein, wie die folgenden Beispiele zeigen.  

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Kreatives Bürger-Atelier in Bonn

Im Viktoriakarree in Bonn stoppte ein Bürgerbegehren den Verkauf von Grundstücken an einen Investor, der dort eine Shopping-Mall bauen wollte. Auf der Bürgerbeteiligungsplattform Bonn macht mit kann man die Aktivitäten der Initiatoren verfolgen. Das Künstlerteam CommunityArtWorks mit Daniel und Jennifer Hoernemann ergriff die Initiative, um sich innerhalb des weiteren Beteiligungsverfahren zu engagieren. Sie erhielten den Zuschlag und gründeten ein kreatives Bürgeratelier in der Innenstadt. Seitdem schaffen sie über künstlerisches Wahrnehmen, Denken und Handeln Raum für Kreativität und Fehlerkultur. Das Bürgerbeteiligungsverfahren zur Neugestaltung des Viktoriakarrees in Bonn läuft seit Herbst 2016 in Kooperation mit den Architekten von neubighubacher und den Stadtentwicklern von zebralog. Das Künstlerteam von CommunityArtWorks bearbeitet seit langem gesellschaftliche und unternehmerische Herausforderungen mit künstlerischen Methoden und Interventionen im öffentlichen Raum. Es greift mit dem „Büro für die Nutzung von Fehlern und Zufällen“ aktiv in Prozesse ein, fördert Kommunikation und Reflexion. Ich habe mit Daniel Hoernemann ein Podcast-Interview geführt:

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KREATIVE für MV – Wettbewerb für soziale Innovationen und Dorfentwicklung

In Mecklenburg-Vorpommern hat Corinna Hesse den Wettbewerb „Kreative für MV – MV für Kreative“ initiiert und realisiert ihn mit mir gemeinsam als Projekt- und Workshop-Leiterin. Im Fokus stehen soziale Innovationen in ländlichen Regionen, die von kreativen Raumpioniere vorangetrieben und mit ihrer Unterstützung nachhaltig umgesetzt werden sollen. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung unterstützt das Modellvorhaben, das die Potenziale von Kreativen stärker bei der Gestaltung von Gesellschaft nutzen soll sowie auch bei lösungsorientierten Herausforderungen,  z. B. durch Perspektivwechsel und Querdenken, Mut und Experimentierfreude. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat die Schirmherrschaft zugesagt. 

Corinna Hesse ist Sprecherin von „Kreative MV“ – Netzwerk der Kultur- und Kreativwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern und Verlegerin im Silberfuchs-Verlag: „Gesucht werden für den Wettbewerb zivilgesellschaftliche Projekte zwischen Kreativschaffenden und Bürgern.“ In interdisziplinären Kreativworkshops und Coachings vor Ort können Kreativschaffende und Bürger – angeleitet und unterstützt u. a. von Vermittlern wie Corinna Hesse und mir, Antje Hinz, – ihre Projektideen weiterentwickeln und verfeinern. Ich werde darüber hinaus redaktionell über das Projekt berichten. Ich bin überzeugt, dass ländliche Regionen von kreativen Ideen für ein sinnstiftendes Zusammenleben profitieren. 

Im Fokus des Wettbewerbs stehen künstlerisch-kreative Methoden für gesellschaftsgestaltende Prozesse, die auf besondere Herausforderungen in der Region eingehen. Die besten 3 Projekte werden von einer unabhängigen Jury ausgewählt und mit Projektmitteln von insgesamt 10.000 € unterstützt. Details zum Wettbewerb werden bei der KREATOPIA in der IHK Rostock bekannt gegeben, der Branchenkonferenz der Kultur- und Kreativwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern. 

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Antibürokraten in Kopenhagen

Im dänischen Kopenhagen haben Wirtschafts-, Finanz- und Justizministerium das Innovationslabor MindLab gegründet. Die Mitarbeiter sollen den Alltag in der Metropole lebenswerter und kreativer machen. Sie begleiten Bürger bei Behördengängen und ermitteln deren Probleme beim Ausfüllen von Formularen. Sie hören den Bürgern zu und fragen direkt nach, was verbessert werden kann. 130 Projekte haben die Vordenker landesweit angestoßen, in den Bereichen Mobilität, Bildung und Wissensmanagement, bei der Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt und der Müllvermeidung: Grüne Fußabdrücke auf Bürgersteigen, die den Weg zu Mülleimern zeigen, halfen dabei, den Abfall auf Straßen um beachtliche 40 Prozent zu reduzieren. 

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Nudge-Methode

Die US-amerikanische Regierung versuchte es 2008 unter Barack Obama, die britische Regierung 2010 unter David Cameron 2010 und ebenso die Bundesregierung unter Angela Merkel: Sie engagierten kreative Mitarbeiter für Verhaltenseinblicke (The Behavioural Insights Team), um mit der „Nudge“-Methode das Verhalten der Bürger auf vorhersagbare Weise zu beeinflussen, ohne dabei auf Verbote, Gebote oder ökonomische Anreize zu setzen. Die vom Staat eingesetzten Psychologen sollen Bürger mit kleinen „Anstupsern“ animieren, sich besser zu verhalten: Energie zu sparen, Steuern zu zahlen, für das Alter vorzusorgen, sich gesünder zu ernähren. Die Briten gehen derzeit der Frage nach, wie sich bei Bürgern Gewissenhaftigkeit, Verantwortung, Motivation, Kreativität und Offenheit am besten unterstützen lassen.

In Österreich erarbeiten Akteure aus Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft im GovLab gemeinsam übergreifende Lösungsansätze. Die Erkenntnisse werden über Prototypen an andere Bürger weitergegeben. In der Schweiz unterstützt das gemeinnützige Staatslabor die öffentliche Verwaltung mit innovativen Lösungen. In die Modellprojekte sollen Bevölkerungsgruppen eingebunden werden, die in der Schweiz nicht über Stimm- und Wahlrecht verfügen.

Community als Spiel

Im US-amerikanischen Salem nutzt die Stadtverwaltung spielerische Ideen, um das heruntergekommene, brachliegende Viertel „Point Neighborhood“ neu zu beleben und von Müll zu befreien. Gamedesigner vom Institut EngagementLab entwickelten das Community-Spiel PlanIt, eine Mischung aus Kontaktbörse, sozialem Netzwerk, Umfrage-Instrument und Wettbewerb. Die Bewohner können sich über ihr Viertel austauschen und dabei Punkte sammeln: Motivation mit spielerischen Elementen. Dank Gamification übernehmen die Bürger mehr Verantwortung für Müll, während die Stadt Flächen für neue Geschäfte schafft und Zuschüsse für die Renovierung historischer Gebäude vergibt. Das Konzept wurde auch auf andere Orte und Projekte übertragen.

Rostock hilft

In Rostock übernahmen im September 2015 kurzerhand die Bürger das Ruder, als die Verwaltung mit den ankommenden Flüchtlingen überfordert war. Anfangs gab es Widerwillen gegen das bürgerliche Engagement, dann doch Anerkennung von Senator Steffen Bockhahn für die kreativen Ideen, der 2016 sagt: „Ohne die Zivilgesellschaft hätten wir es damals nicht geschafft.“ Akteure vom Verein Rostock hilft und vom Rostocker Kreativzentrum projekt:raum haben die Aktionen maßgeblich getragen, logistisch über digitale Einsatzlisten und Facebook organisiert und viele kreative Programme für Geflüchtete entwickelt, wie „Kochen über den Tellerrand“.

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Finding Places

Hamburg rief 2016 in Kooperation mit der HafenCity Universität und dem MediaLab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Beteiligungsprojekt Finding Places zu 34 Workshops An einem interaktiven Stadtmodell konnten Bürger geeignete Orte für neue Flüchtlingsunterkünfte benennen. Eine Bürgerbeteiligung mit Lerneffekt, denn vielen wurde zum ersten Mal bewusst, wieviele Bestimmungen und Vorschriften im städtischen Raum zu beachten sind.

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Beteiligungshaushalt

Inzwischen entwickeln in vielen Ländern Städte und Gemeinden neue Konzepte und Handlungsempfehlungen für mehr Bürgerbeteiligung. Die Bewohner sollen bei Planungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozessen mitentscheiden und mitwirken. In Porto Alegre in Brasilien entstand bereits Ende der 1980er Jahre ein Beteiligungshaushalt. Er räumt Bürgern Mitsprache bei kommunalen Ausgaben ein. Dieses Verfahren wird mittlerweile in unzähligen Kommunen praktiziert, zum Teil auch in Deutschland:

Potsdam – WerkStadt für Beteiligung:

https://buergerbeteiligung.potsdam.de/content/kontakt-werkstadt-fuer-beteiligung

Berlin – Büro für Bürgerbeteiligung:

https://www.berlin.de/ba-mitte/aktuelles/buergerbeteiligung/buero-fuer-buergerbeteiligung/

Hamburg – Bürgerbeteiligung und Stadtwerkstatt:

https://www.hamburg.de/stadtwerkstatt/

https://partizipendium.de/buergerbeteiligung-in-hamburg-2012-2016/

Ludwigsburg – Zukunftsbüro für nachhaltige Kommunalentwicklung:

https://kommunalwirtschaft.eu/tagesanzeiger/detail/i12472/c145.html

Hamburg und Kassel – Verbundprojekt für Digitalisierung „Civitas Digitalis“:

https://www.kommune21.de/meldung_26449_on.html

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