Foto_Hermann-J-Kassel © Hermann J Kassel

„take part in art“: Was macht uns ticken, wie wir ticken ?

Hermann J Kassel ist Künstler und beschäftigt sich vor allem mit Installationen, Objekten und Bildhauerei. Staatliche Museen und private Galerien zeigen seine Werke. Unternehmen haben seine Arbeiten angekauft bzw. Werke bei ihm in Auftrag gegeben, z. B. Deutsche Telekom, Robert Bosch GmbH, RWE/ELE, Hypo Vereinsbank und GETRAG International. Sein künstlerisches Selbstverständnis schöpft Hermann J Kassel auch aus künstlerischen Interventionen. Über dieses Tätigkeitsfeld und weitere Leidenschaften habe ich mit Hermann J Kassel gesprochen.

A.H. Herr Kassel, für Ihre künstlerischen Interventionen haben Sie ein Konzept erdacht, das Sie „take part in art“© nennen. Können Sie Ihre Intentionen dazu erläutern?

Hermann J Kassel
Ich bin davon überzeugt, dass die Integration künstlerischer Kompetenzen, Strategien und Denkweisen einen Perspektivwechsel bewirkt und Denk- und Gestaltungsräume von Führungskräften und Mitarbeitern zu erweitern vermag. Die kreativ inspirierten Mitarbeiter schöpfen anschließend aus einem größeren Ideenpool und begegnen den Herausforderungen mit mehr Offenheit, Selbstvertrauen und Mut. Damit sich dies dauerhaft im Bewusstsein der Mitarbeiter verankert, dürften regelmäßig angeregte Perspektivwechsel und „kreative Irritationen“ von Vorteil sein.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf das äußerst lesenswerte Buch „Theorie U – Von der Zukunft her führen“ von C. Otto Scharmer hinweisen. Der Autor beschreibt darin u.a. die Bedeutung der Intuition, des schöpferischen Tätigwerdens, der Intelligenz unseres geöffneten Denkens, Herzens und Willens. Scharmer zieht dabei auch immer wieder Vergleiche zur Arbeit des Künstlers.

Atelier 1 Atelier 2 © Hermann J Kassel: Blick in das Atelier des Künstlers

Wann und warum sind Sie darauf gekommen, neben Ihrer schöpferischen künstlerischen Arbeit auch Interventionen in Unternehmen und im öffentlichen Sektor anzubieten?

Hermann J Kassel
Dies ist eher zufällig passiert, so um das Jahr 2000. Ich hatte als ursprünglich ein Meeting als Betriebsausflug für Mitarbeiter der Telekom Köln-Bonn in die Fabrik geplant, in der ich mein Atelier habe. Im Laufe der Vorbereitungen veränderten sich die Planungen für diesen Ausflug dahingehend, dass auch ein kreatives Arbeiten mit den MitarbeiterInnen gefragt war. Als weitere Anfragen diesbezüglich folgten, erarbeitete ich das Konzept für “take part in art“©

Bearbeiten Sie bei einer künstlerischen Intervention eine konkrete Fragestellung? Wie wird sie entwickelt?

Hermann J Kassel
In den meisten Fällen ja. Häufig stehen die Interventionen in inhaltlichen Zusammenhängen und Fragestellungen mit und für Meetings oder für Konferenzen der Unternehmen oder Institutionen. Ich werde darüber in Vorabgesprächen informiert und setze mich dann inhaltlich damit auseinander, transformiere die Fragestellung in das Interventionsgeschehen und seine formale Umsetzung.

Können Sie über eine konkrete künstlerische Intervention berichten?

Hermann J Kassel
Eine Intervention im Unternehmen GETRAG Ford Transmissions, möchte ich näher vorstellen. Es ist Teil der GETRAG International GmbH, einem der weltweit größten Systemlieferanten für Getriebesysteme (Anmerkung A.H.: Im Juli 2015 wurde Getrag vom kanadisch-österreichischen Konzern „Magna International“ übernommen.)
Wichtige Herausforderungen standen für das Unternehmen im Jahr 2012 in Verbindung mit Begriffen wie „Wurzeln“ bzw. „Verwurzelung bei gleichzeitiger Diversität und Globalisierung“, „Veränderung“ sowie „Wandel vom Jetzt in die Zukunft“.

_tpia_ 5 _tpia_ 4 © Hermann J Kassel: „tpia“ 4-5″ – „Erd-Arbeiten“ und Leinwände, entstanden im Rahmen der Intervention mit 45 Managern bei der Führungskräftekonferenz der GETRAG International

Diese Punkte und Themen sollten möglichst auch im Rahmen der „take part in art“©-Intervention behandelt werden und führten mich so zu meiner Werkgruppe der „Erd-Arbeiten“, mit der ich mich seit 1993 auseinandersetzte. In geschlossenen Stahl-Glas-Skulpturen werden auf Papier, Leinwand und Folien aufgetragene Inhalte durch die ebenfalls hierin mit eingeschlossener Erde kontinuierlich verändert. Inhalte und Schriften auf Papier oder Leinwand erfahren dabei eine schnellere Veränderung bis hin zur Unkenntlichkeit. Im Laufe der Zeit werden diese ersetzt durch ein natürliches Bild (durch Photosyntheseprozesse innerhalb der Arbeit). Die leicht feuchte Erde bedingt – durch ihre photosynthetischen und biologischen Prozesse – einen stetigen Wandel und eine Veränderung in den hierauf liegenden Leinwänden, Papieren und Folien.
Die auf Folien aufgebrachten Inhalte hingegen werden von diesem Prozess nicht verändert und bleiben konstant sichtbar vor dem Hintergrund der stetigen Veränderung.

An der Intervention nahmen 45 Manager teil – und zwar im Rahmen der Getrag Führungskräftekonferenz der GETRAG International. Jeder brachte von seinem jeweiligen Heimatstandort der GETRAG Erde mit zur Konferenz. Im Workshop wurden die Inhalte der Tagung, angeregt durch Monotasking-, Speeddating- und Reflektionsrunden, auf Papieren und Folien verewigt und in Stahlsäulen eingesetzt. Während die Texte auf Papier sich mit der Zeit verändern, bleiben sie auf den Folien dauerhaft lesbar.

Auf Glasplatten hielten die Führungskräfte die am Vormittag bearbeiteten Themen zusammen mit ihren eigenen Gedanken, Visionen, Hoffnungen und Wünschen für ihre Arbeit und das Unternehmen fest. Als verdichtetes Kompendium all dieser Idee entstand ein grünlich schimmernder Block, eingefügt in die Stahlsäule und von LEDs beleuchtet.

Hermann J Kassel_tpia_ 1 _tpia_ 3 Hermann J Kassel_tpia_ 2 © Hermann J Kassel: Im Rahmen der Intervention mit GETRAG Ford Transmissions entstanden „tpia“ 1-3″ – die Stahl-Glas-LED-Lichtsäule „shining future“.

Welche Auswirkungen hat das jeweilige Budget auf die Intervention?

Das zur Verfügung stehende Budget hat z. B. Einfluss auf die formalen Umsetzung, also z. B. auf das Objekt, das am Ende entsteht. Aufwendigere Stahl-Glas-Licht-Objekte schlagen hier natürlich anders zu Buche als weniger aufwendige. Mein Impetus, mit dem ich an eine jede “take part in art“©-Intervention herangehe, ist aber unabhängig vom Budget gleich intensiv.

Ich las, dass Sie auch Konferenzen mit Interventionen begleiten: Wie funktioniert so etwas in einem zeitlich sehr eng gesteckten Rahmen, wenn die Teilnehmer inhaltlich ohnehin schon stark gefordert und deren Aufnahmekapazitäten vielleicht daher begrenzt sind?

Hermann J Kassel
Das ist in der Tat schon eine besondere Aufgabe und Herausforderung. Es gab Interventionen, die ich während der Pausen oder in bewusst offen gehaltenen Zeitfenstern mit den Teilnehmern durchgeführt habe. Bei anderen Konferenzen war die Intervention ein feststehender Programmpunkt. Die Teilnehmer in einem solchen Rahmen einzuladen und mitzunehmen, erfordert innere Überzeugung für das, was ich bereichernd vermitteln möchte.
Eine nachhaltige Wirkung erzeugt das gemeinschaftliche Werk, das die Teilnehmer gemeinsam entstehen lassen. Auch eigene Arbeiten, die in Einzelaktion im Rahmen der Intervention anfertigen, können die Teilnehmer in ihr privates Umfeld mitnehmen.

Sie haben auch für die Sir Peter Ustinov Stiftung gearbeitet. Ustinov hat sich ja stark gegen Vorurteile engagiert … War dies auch Thema Ihrer Intervention?

Hermann J Kassel
Im Rahmen des Weltkindertages gab es hier Interventionen für und mit Kindern, wovon
ca. 50% einen Migrationshintergrund hatten. Das vorurteilsfreie, offene und gemeinsame Arbeiten stand hier im Vordergrund. Wenn das gelingt, ist doch schon einiges erreicht.

Wenn Sie eine Intervention vorbereiten, welche Fragen stellen Sie sich dann am Anfang? Wie recherchieren Sie, um sich dem Unternehmen zu nähern?

Hermann J Kassel
Die ersten faktischen Fragen betreffen die Rahmenbedingungen: die Zeit, die zur Verfügung steht, die Anzahl der Teilnehmer, woher diese kommen, wo die Intervention stattfinden soll, also bei mir im Atelier oder vor Ort. Parallel dazu arbeite ich am inhaltlichen Bezug. Interventionen stehen meist in einem inhaltlichen Zusammenhang mit relevanten Fragestellungen. Die Vorbereitungsphase für eine Intervention dauert in der Regel einige Wochen. In dieser Zeit sammle ich möglichst viele Informationen. In der Regel bitte ich die Unternehmen, mir möglichst viel „Futter“ zu geben; hierzu gehört nicht zuletzt auch immer die intensive Auseinandersetzung mit Materialien, Produkten, mit denen die jeweiligen Unternehmen arbeiten oder die sie herzustellen.

Für mich als Objekt-Künstler ist gerade das immer wieder sehr spannend, denn ich komme mit zum teil ungeahnten Materialien in Kontakt. Aus all dem formt sich dann die Idee, der Leitfaden und schließlich das formale Aussehen der Intervention. In der Regel erarbeite ich das „skulpturale Gehäuse“ für eine Intervention im Vorfeld. Die inhaltliche Aufladung erfolgt dann gemeinsam während der Intervention.

Wie bauen Sie bei einer Intervention den Kontakt zu Teilnehmern bzw. Mitarbeitern auf? Wie erlangen Sie ihr Vertrauen?

Hermann J Kassel
Mit Authentizität – „ich meine das, was ich da mache“ – und das spüren die Teilnehmer. Ich bin „Überzeugungstäter“!

Künstlerische Interventionen haben den Vorteil, dass die Teilnehmer durch die kreative Arbeit beim Workshop die Dinge anders betrachten können als sonst im Alltag. Es wird ein Perspektivwechsel ermöglicht. Haben Sie eine Rückmeldung von einem Workshop in Erinnerung, bei dem er einen besonderen Aha-Effekt gab?

Hermann J Kassel
Mir geht es darum, dass die Teilnehmer sich selbst anders und neu kennenlernen; dass sie etwas Neues von und in sich entdecken. Hier ergeben sich immer wieder AHA-Erlebnisse. Sie sind – neben der inhaltlich thematischen Bearbeitung – dauerhaft abrufbar und wirksam, nicht zuletzt durch die bei der Intervention entstandenen Arbeiten, die j auch dauerhaft im Unternehmen verbleiben.

Was nehmen Sie für sich persönlich aus einer Intervention mit? Was gibt Ihnen die Interaktion mit „normalen Menschen“ für Ihre eigene künstlerische Arbeit?

Hermann J Kassel
Meine künstlerische Arbeit entsteht aus und in mir. Ich mache diese Arbeit sicher aus einem inneren Drang, aber letztlich ja für „normale“ Menschen. Bei meiner Arbeit interessiert mich die Frage: „Was macht uns ticken, wie wir ticken?“. Das interaktive Arbeiten mit Menschen ist für mich manchmal anstrengend, aber immer hochspannend und lehrreich.

Einige Künstler lassen ihre Interventionen von einem Vermittler begleiten, der als Bindeglied zwischen ihm und dem Unternehmen bzw. der Institution agiert und den Prozess begleitet. Sie arbeiten – soweit ich weiß – ohne Intermediär. Gehen Sie bewusst Ihren eigenen Weg allein oder würden Sie sich zuweilen Unterstützung wünschen und konkret bei welchen Aspekten?

Hermann J Kassel
Das habe ich schon so und so geplant und durchgeführt. Ich mag es durchaus, wenn meine Interventionen von einem „Vermittler“ begleitet und auch schon einmal moderiert werden. Eine zusätzliche weitere Reflexionsebene kann in dem einen oder anderen Fall durchaus willkommen sein.

Der Drang, „auf einer Bühne stehen zu müssen“ ist bei mir sicher nicht übermäßig stark ausgeprägt. Die klassische „Rampensau“ bin ich da ganz sicher nicht. Natürlich gehört eine Art Anmoderation von mir zu einer Intervention dazu. Ich halte sie aber eher kurz, um dann in den eigentlichen Teil meiner Arbeit zu kommen – hier bin ich dann wirklich zu Hause. Manchmal ist es auch hilfreich, wenn Ergebnisse einer Intervention von „anderer Seite“ aus reflektiert und vermittelt werden. Das dauerhafte Verbleiben des Werkes an einem „prominenten“ Ort im Unternehmen schafft die wichtige „Nachhaltigkeit“ in Wirkung und Auswirkung.

Wenn ein Künstler für Unternehmen arbeitet, wird oft vermutet, dass er dort instrumentalisiert und funktionalisiert wird. Wie sehen Sie das im Hinblick auf Ihre eigenen künstlerischen Interventionen?

Hermann J Kassel
Solange ich nicht in dem eingeschränkt werde, wie ich etwas ausdrücken, transformieren und vermitteln möchte, kann ich mich kaum instrumentalisiert oder funktionalisiert fühlen. Wenn die Art und Weise gefragt ist, wie ein Künstler bestimmte Fragestellungen sieht und bearbeitet, so scheint mir das doch sinnvoll und wünschenswert. Darin sehe ich eher eine Chance – für beide Seiten. Denn auch ich lerne immer weiter dazu. Meine Interventionen wären nicht gefragt, wenn es schlichtweg darum ginge, „das Letzte“ aus den Mitarbeitern herauszukitzeln, um schlicht -weg „bessere Zahlen“ anschließend schreiben zu können. Außerdem habe ich jederzeit die Möglichkeit, eine Zusammenarbeit mit einem Unternehmen abzulehnen.

4. Polymobile vor Stahlrelief und Korrosionsabdruck © Hermann J Kassel: 4. Polymobile vor Stahlrelief und Korrosionsabdruck

Sie schreiben auf Ihrer Website „Kultur ist heute kein ‚nice to have‘, sondern eine bedeutende Voraussetzung für Erfolg.“ Was bewirken Kunst und Kultur? Welche Beobachtungen haben Sie bei Ihren Interventionen gemacht.

Hermann J Kassel
Die Integration künstlerischer Kompetenzen, Strategien und Denkweisen ermöglicht Perspektivwechsel und erweitert die Denk- und Gestaltungsräume von Führungskräften in Wirtschafts- und Wissenschaftssystemen.
Steht am Anfang einer Intervention noch das ängstliche „ich kann doch nicht malen …“, verwandelt sich das in ein „ich bringe mich mit einem/meinem „wichtigen inhaltlichen“ Einfluss in die Gesamtarbeit mit ein.“ Menschen öffnen sich!

Auf Ihrer Website schreiben Sie außerdem: „Kunst eröffnet die Möglichkeit, unternehmensrelevante Themen in neuer Weise zu erfahren und zu bearbeiten und damit neue Denkräume und Gestaltungspotenziale zu schaffen.“ In diesem Zusammenhang ist die nachhaltige Wirksamkeit von Kunst ein wichtiges Thema. Gibt es auch Institutionen bzw. Unternehmen, mit denen Sie mehrfach zusammengearbeitet haben und daher auch die Nachhaltigkeit Ihrer Arbeit prüfen konnten? Inwiefern hat die Institution die Erkenntnisse aus Ihrer Intervention nachhaltig in ihren Arbeitsalltag eingebettet?

Hermann J Kassel
Ja, es gibt Unternehmen wie Institutionen, mit denen ich wiederholt gearbeitet habe.
Es ist schwierig, hier eine Art Gleichung “Input-Output“ aufzumachen. Für solche faktischen „eins zu eins“-Gleichungen eignen sich vielleicht andere Instrumente eher, Strategieberatungen oder anderes mehr, eben Instrumente aus dem klassischen Trainer- oder Coachingbereich. „take part in art“© setzt und wirkt vielleicht eher „subkutan“, weil es in andere, nicht weniger wichtige Ebenen und Schichten eindringt.
Die gemeinsam geschaffene und inhaltlich aufgeladene, dann an signifikantem Ort dauerhaft präsente Arbeit aktiviert diese Ebenen stets neu, lässt Frageräume auch offen, regt an und inspiriert.

In welchem Alter waren Sie sich sicher, Kunst zum Mittelpunkt Ihres Lebens zu machen bzw. auch Ihren Lebensunterhalt mit Kunst zu bestreiten?

Hermann J Kassel
Das war schon recht früh. Zunächst noch schwankend zwischen Musik und der Bildenden Kunst … Dann irgendwann um die 16 Jahre ging es die Richtung Bildende Kunst – nicht wissend, was das auch für das Bestreiten des Lebensunterhaltes immer wieder mal bedeuten kann – aber daran wächst man. „Überzeugungstäter“ zu sein, ist da sicher hilfreich.

Eine Frage zur Kreativität: Werden Sie aus sich selbst heraus kreativ? Oder bedarf es äußerer Impulse? Wenn ja: Welche Impulse nehmen Sie von außen auf? Wie reagieren Sie darauf?

Hermann J Kassel
Sowohl als auch. Äußere Impulse passieren ja ehedem. Es ist ein Wechselspiel, eine Korrelation von äußeren Impulsen, deren Reflektion und Transformation. Die Frage ist sicher auch die, wie ich mit diesen permanenten äußeren Impulsen umgehe, sie verarbeite, auszuschließen versuche, mich ihnen bewusst aussetze, filtere, ……da sind „sie“ immer und überall –sei es die wunderbar würzige Luft an einem noch feuchten Morgen im Wald. Auch das ist ein äußerer starker Impuls, Einfluss…..Natürlich setze ich mich auch sehr bewusst äußeren Impulsen aus.Hier ist ganz sicher die Musik zu nennen. Johann Sebastian Bach z.B. ist für mich hier immer wieder eine wichtige Einflusssphäre.

Fühlt sich das Kreativsein bei einem Auftragswerk anders an als bei der Schaffung eines freien Kunstwerkes? Anders gefragt: Unterscheidet sich die Kreativität in der freien Kunst von der Kreativität in der angewandten Kunst?

Hermann J Kassel
Die Kreativität unterscheidet sich nicht – es ist „die eine Kreativität“, aus der oder mit der ein freies oder ein „Auftragswerk“ entsteht. „Auftragswerk“ meint ja auch nicht, oder zumindest nicht bei mir und meinem Interventionen, das ich gefragt werde, diese oder jene Arbeit so oder so auszuführen. Der „Auftrag“ besteht in einer inhaltlichen Fragestellung, einem Thema. Bisher waren und sind es Themen, die interessant und spannend sind, zu bearbeiten – z.B. der Bereich „Human Ressource“ (irgendwie schüttelt es mich auf einer Seite auch immer wieder ein wenig bei dem Begriff „menschliche Ressource“– habe aber eine Ahnung, was damit „gemeint“ sein soll). Es geht um Menschen, um uns! Und das ist doch ein „großes Thema“. Ein Thema, dass mich grundsätzlich in meiner künstlerischen Arbeit interessiert: „Was macht uns ticken, wie wir ticken ?“ Dann komme ich über solche Anfragen immer wieder auch mit neuen Materialien in Kontakt – also tatsächlich, handgreiflichen Materialien – und das finde ich immer wieder auf´s Neue sehr spannend, anregend, kreativ inspirierend…

In diesen Prozessen der „Auftragsarbeiten“ läuft also vieles so wie in kreativen Prozessen der „freien Kunstwerke“. Etwas anders mag es mit den Arbeiten sein, die „einfach so“, ohne jede Themenvorgabe, rein intuitiv passieren. Hier laufen noch einmal ein paar andere Prozesse in mir ab.

Welche äußeren und inneren Bedingungen, welches Umfeld benötigen Sie, um kreativ zu sein?

Hermann J Kassel
Kreativität ist für mich nichts, was ich an- und abschalte, mal (professionell) beruflich kreativ bin und dann wieder nicht……. Es ist ein generelles Bewusstsein, „Zustand“…
Also passiert Kreatives überall, an und in jedem inneren wie äußeren Ort…
Wichtig für mich ist, allein zu sein, mich „abzuschließen“ – nicht zuletzt um die äußeren Einflüsse, Eindrücke, Überlegungen zu verinnerlichen, zu bearbeiten, zu transformieren…

Innerliche Empfangsbereitschaft, Leere zu schaffen, das ist für mich die wichtigste Voraussetzung für Kreativität, für Inspiration. Musik spielt in diesem Prozess ebenfalls eine inspirierende Rolle. Das hört sich vieleicht „esoterisch“ an, aber es ist tatsächlich für mich schon eine Art des meditativen Zustands …

Gibt es so etwas wie einen roten Faden in Ihrer künstlerisch-kreativen Arbeit, ein Thema, das sich durch Ihr Gesamtwerk zieht und Ihnen besonders wichtig ist?

Hermann J Kassel
Schlüsselbegriffe oder Themen sind Veränderungs- und Transformationsprozesse.
Das „Dazwischen“ meint auch die Trennschicht „Bewegung“ auf verschiedenen Ebenen sowie die Erforschung der Grenzen und der „Trennschicht“, also dem, was das Dazwischen ist und seiner Diffusion, Durchdringung.

Eine weitere Frage beschäftigt mich stetig: Was macht uns ticken wie wir ticken? Das findet sich bei mir in den unterschiedlichsten Arbeiten, z. B. neben drei Werkgruppen, die ich seit ca. 25 Jahren bearbeite, in immer wieder neuen Medien, Materialien etc.
Mich treibt auch die Frage nach dem geeigneten Material, der Umsetzung, des „Transportmittels“. Und das bringt immer wieder neue Ausdrucksformen, Installationen etc. mit sich.

Wenn Sie kreativ tätig sind, haben Sie dann einen Adressaten vor Augen oder im Kopf?

Hermann J Kassel
Das ist sehr unterschiedlich. Bei den Interventionen ganz sicher (geradezu „zwangsläufig“) … Ein Adressat vor Augen kann sehr wohl „etwas“ auslösen, eine Arbeit, ein Werk in Gang setzen. Und dann gibt es Arbeiten, die „einfach“ entstehen wollen, ohne dass es während des Entstehungsprozesses einen Adressaten gibt.

Haben Sie in Ihrer künstlerisch-kreativen Arbeit Flow-Momente erlebt? Wie fühlt sich das für Sie an? Wie würden Sie es jmd. beschreiben, der das noch nie erlebt hat?

Hermann J Kassel
Dankbarerweise Ja. Hier könnte ich wieder ein wenig ins „Esoterische“ gleiten.
Das Gefühl aus und in innerer Leere und in Bereitschaft zu empfangen, „Ideen zu gebären“, das berauscht, macht glücklich und wirklich reich.

Wie sehen Sie die Rolle des Künstlers in der heutigen Zeit im Spannungsfeld der aktuellen Herausforderungen in unserer Gesellschaft?

Hermann J Kassel
Natürlich sehe mich als Künstler auch in der Aufgabe und es drängt mich, mich mit gesellschaftsrelevanten Fragen, intensiv auseinanderzusetzen. Dass mich sehr interessiert, wie wir als Menschen ticken, was uns an- und umtreibt und warum wir tun was wir tun, hat ja sehr viel mit „Gesellschaft“ zu tun. Ich denke, dass wir als Künstler seismografisch denken, fühlen und arbeiten.
Ich bin davon überzeugt, dass ein gutes Kunstwerk im Moment der Betrachtung etwas im Menschen radikal auslösen und wirklich verändern kann; auch wenn mir schon einmal die Frage durch den Kopf geht, ob z.B. durch oder wegen Picasso´s „Guernica“ ein Krieg weniger geführt worden, ein Toter weniger zu beklagen ist?
Das kann mich aber nicht davon abhalten, als „Überzeugungstäter“ die Rolle des Künstlers mit Herz und Hirn selbstbestimmt zu übernehmen und zu gestalten.

Inspirationstipps:

Künstlerische Interventionen von Hermann J Kassel „take part in art“©

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