© Roswitha Rösch, Silberfuchs-Verlag

Was Unternehmen von der Hanse lernen können

Der mittelalterliche Hansebund glänzte mit genau den Eigenschaften, die heute Start-up-Firmen erfolgreich machen. Unternehmen können daher vom historischen Bund eine Menge lernen: über Innovationen, Partnerschaften und Vertrauen ebenso wie über das Scheitern.

Sie war ein loser Zusammenschluss von Kaufleuten, dezentral organisiert und offen für jedermann: die Hanse. Gemeinsame Ziele führten Händler aus etwa 200 Städten zu der Interessengemeinschaft zusammen. Sie wünschten sich für ihre Handelsgeschäfte über Ländergrenzen hinweg mehr Sicherheit, vor allem in rechtlichen Fragen. Kaufleute des Hansebundes erlangten an wichtigen Handelsplätzen im Ausland das Recht, Lager- und Verkaufshallen anzulegen, so genannte Kontore: in London (“Stalhof”), in Bergen (“Deutsche Brücke”), in Nowgorod (“Petershof”) und in Brügge.

Freiheit und Offenheit bildeten die wichtigsten Grundpfeiler des Bundes. Strukturen wurden nur in dem Umfang geschaffen und zugelassen, wie sie unbedingt nötig waren, um erfolgreichen Handel und Wandel zu gewährleisten. Aufwand und Kosten für die Organisation, das Sammeln von Informationen und die Abwicklung von Transaktionen sollten überschaubar bleiben, um gegenüber Konkurrenten die Nase vorn zu haben.

Partnerschaften eingehen

Schlank, flexibel, beherzt und vertrauensvoll – der Hansebund glänzte mit genau den Eigenschaften, die heute Start-up-Firmen erfolgreich machen. Sie folgen einer (Projekt-)Idee und wachsen so, wie es die Realisierung der Idee erfordert.

Start-ups gehen häufiger als gestandene Unternehmen Partnerschaften und Kooperationen ein, um die eigene geschäftliche Nische mit Experten anderer Spezialbereiche zu erweitern. So holen sie sich neue Impulse. Akteure von Netzwerken können sich im Idealfall gegenseitig beflügeln und den Horizont erweitern.

In einer hoch spezialisierten Welt ist es sinnvoll, nicht alle Felder selbst zu bedienen und dabei vielleicht nur Mittelmaß liefern zu können. Sinnvoller ist es, sich auf Kernkompetenzen zu konzentrieren und damit Spitzenleistungen zu erbringen. Das macht auch das Überleben am Markt leichter.

Ressourcen teilen

Kooperationen und Netzwerke können wirtschaftlich schlank agieren, wenn sie Ressourcen teilen: Personal, Räumlichkeiten, Arbeitsmittel und Wissen! Auf diese Weise können Startups sogar das Scheitern eines Projektes verkraften, weil sich die eingesetzten Mittel in Grenzen halten.

Auch die historischen Hanseaten haben durch Risikostreuung eventuelle Schäden begrenzt: Um bei einem Sturm oder Überfall durch Piraten nicht alle Waren auf einmal zu verlieren, verteilten sie ihre Güter auf mehrere Schiffe. Auf diese Weise entstanden die ersten Schiffsbeteiligungen.

Den Partnern vertrauen

Auch das lässt sich vom Hansebund lernen: Partnerschaften erfordern Vertrauen und Zuversicht. Die Zukunft ist nicht vorhersehbar! Daher sollten Partner ergebnisoffen, kreativ und flexibel bleiben, falls sich das gemeinsame Projekt in eine andere Richtung bewegt. Es kommt auf die Perspektive und die innere Einstellung an: Werden Zufälle und unerwartete Ereignisse zugelassen? Bieten sie die Chance, Projekte innovativ zu transformieren?

Nicht alles muss von A bis Z durchgeplant werden. Auch ungewisse Ideen und Konzepte lassen sich zwischen vertrauensvoll agierenden Partnern durch schlanke Vereinbarungen absichern, was gerade anfangs eine „psychologische“ Stütze sein kann.

Bürokratie vermeiden

Der historische Hansebund hat über 400 Jahre Wirtschaft, Handel und Politik mitbestimmt und mitgestaltet, bis er Mitte des 17. Jahrhunderts an Bedeutung verlor. Was einst mit Offenheit und Gleichberechtigung begann, endete mit Bürokratie, Misstrauen und Abschottung. Immer mehr Vorschriften zur Vereinheitlichung des Handels führten zu gegensätzlichen Meinungen und Konflikten zwischen einzelnen Mitgliedern und der inzwischen zentralen Geschäftsführung in Lübeck. Sie organisierte die regelmäßigen Zusammenkünfte bei den Hansetagen. Wer sich gegen die Zentralisierung des Hansebundes äußerte und andere Interessen verfolgte, dem wurde fortan die Mitgliedschaft verwehrt.

Standards und Regeln sind bis zu einem gewissen Grad notwendig und sinnvoll. Wenn sie einem Netzwerk oder Unternehmen jedoch hierarchisch und bürokratisch übergestülpt werden, lähmen sie Entwicklung und Fortkommen. Wenn sich Trends verändern, Absatzzahlen für Produkte zurückgehen und Gewinne schmelzen, reagieren Firmenzentralen oft mit Kontrolle und sinnlosen Vorschriften. Statt kreative Lösungsansätze für Probleme zu finden, werden strenge Vorgaben gemacht. Die Mitarbeiter fühlen sich übergangen und reagieren demotiviert, weil Entscheidungsfreiheit eingeschränkt und Kreativität erstickt werden.

Soziale Beziehungen pflegen

Der über 400 Jahre währende Erfolg der historischen Hanse stützte sich nicht nur auf einen ökonomischen Austausch. Seine Mitglieder pflegten in ihrem Netzwerk enge soziale Beziehungen, eine gemeinsame Kommunikation und Kultur.

Neben üblichen Handelsgütern wurden daher auch Kunstobjekte aus dem Ausland mitgebracht – darauf gründet sich der Bestand vieler Völkerkundemuseen. Ihre Gewinne haben die Kaufleute nicht nur in neue Waren und Geschäfte investiert, sondern auch in soziale Projekte in ihren Heimatorten, in den Bau von Kirchen, in Auftragswerke für Kunst und Musik. Die Hanseaten handelten sowohl regional als auch überregional.

Die Hanse-Idee in der Gegenwart

Dieser ursprüngliche Geist der Hanse wurde 1980 im niederländischen Zwolle wiederbelebt. Fast 200 Städte aus 16 Ländern fanden sich seitdem in der hanse.org zusammen, um den verbindenden Gedanken in die Neuzeit zu tragen. Gemeinsame wirtschaftliche Unternehmungen werden ebenso geplant und gewagt wie Aktivitäten in Wissenschaft und Kultur, in der Jugendarbeit, im Tourismus und im Umweltschutz. Angetrieben von gegenseitigem Vertrauen und Freude an der Begegnung engagieren sich die Akteure ohne Berührungsängste und ohne politischen Auftrag.

Die Hanse als Vorbild

Ob Menschen in Netzwerken oder Unternehmen aus sich selbst heraus verantwortlich handeln, hängt vor allem davon ab, ob sie genügend Freiraum erhalten. Insofern ist der historische Hansebund bis heute Vorbild: in seinem mutigen, bürgerlichen Selbstverständnis und in seinem stetigen Abwägen zwischen Vertrauen, Eigeninteressen und Gemeinwohl.

So wie es Heinrich Geffcken 1844 formulierte und dichtete, der Präses der Hamburger Commerz-Deputation, nachzulesen auf einer Votivtafel im Treppenaufgang der Handelskammer Hamburg, die von Nikolaus W. Schues gestiftet wurde, dem Inhaber der Reederei F. Laeisz und Präses der Handelskammer 1996-2002:

„Habt Ihr Gutes gewirkt, zu dem Guten komme das Schöne,
Ehrt freigiebig die Kunst, wahrlich Ihr ehret Euch selbst!
Königlich nenn ich den Kaufmann, der nicht mit klingendem Gold nur,
Der durch Leben und Geist Schönes befördert und schützt.
Auf denn! Die Schranken sind offen: das Nützliche, Gute und Schöne
Sei wetteifernder Kraft froh zu erstrebendes Ziel!“

Von der Hanse lernen: Die Top 7-Bedingungen für den Erfolg von Netzwerken

Vertrauen:
Vertrauen ist die wichtigste Grundlage für eine Partnerschaft auf Augenhöhe.

Spezialisierung:
Man kann nicht alle Bereiche abdecken. Allrounder laufen Gefahr, nur Mittelmaß abzuliefern und sich in der Vielzahl zu verzetteln. Was man selbst nicht beherrscht, können Partner innerhalb des Netzwerkes besser abdecken. Kernkompetenzen ermitteln und darauf fokussieren!

Offenheit:
Neue Partner können Projekten völlig unerwartete Impulse geben und neue Kontakte eröffnen. Wer immer nur auf bekannte Partner setzt, kann seinen Horizont nicht erweitern.

Ressourcen:
Alles, was man nicht durchgängig braucht, kann geteilt werden: Personal, Räumlichkeiten, Arbeitsmittel und Wissen! So lässt sich viel Geld sparen.

Strukturen:
So wenig wie möglich, so viel wie nötig. Zu viele Regelungen lähmen Entwicklung und Fortkommen. Der Rahmen für das gemeinsame Netzwerk lässt sich auch in knappen Vereinbarungen festlegen.

Flexibilität:
Wenn sich Projekte in eine unerwartete Richtung bewegt, sollte dies als Chance begriffen werden. Ungeplante, zufällige Entdeckungen haben nicht selten zu Innovationen geführt. Kreativität und intrinsische Motivation gedeihen dort, wo es Freiraum gibt und nicht alles genau durchgeplant ist.

Gleichberechtigung:
Verschiedene Partner engagieren sich nur dann mit voller Kraft in einem Netzwerk, wenn sie ebenbürtig agieren können. Am Ende muss die Mischung stimmen – zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohl.

Inspirationstipps:

• Sibylle Hoffmann: Das Hanse-Hörbuch – Geschichte und Kultur, Silberfuchs-Verlag 2013. (Hörproben)
• Margrit Schulte Beerbühl: Das Netzwerk der Hanse, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 2011.
• Karl-Peter Ellerbrock, Nancy Bodden und Margrit Schulte Beerbühl: Kultur, Strategien und Netzwerke: Familienunternehmen in Westfalen im 19. und 20. Jahrhundert, Ardey-Verlag 2014.

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