© Studio Riekoff

Analog denken, digital gestalten: der Medienkünstler Christian Riekoff

 Computerkunst auf dem Land? Geht das überhaupt? Ich habe mit dem Mediendesigner Christian Riekoff über das Leben zwischen Stadt und Land gesprochen, über seine aktuellen Arbeiten und Auftraggeber.

Vom Dorf in die Großstadt

Viele Jahre hat der Mediendesigner Christian Riekoff in dem kleinen Mecklenburgischen Dorf Alt Zachun südlich des Schweriner Sees gelebt und dort sein Studio Riekoff betrieben. Doch seine Auftraggeber sitzen in den Metropolen: Berlin, Singapur, Toronto. Also steigt Riekoff morgens auf dem Mini-Bahnhof in Sülstorf in den Zug und findet sich Stunden später in der Hektik der Großstädte wieder. Ein Wechsel, wie er krasser kaum sein kann. Doch andererseits genießt Riekoff auch beide Welten: hier die Ruhe und Natur, dort das pulsierende Leben mit bunten Lichtern und Farben. „Wie viele Fassaden z. B. in Berlin kreativ gestaltet sind, was da draußen passiert, wie viele Plakate da hängen, wie viele Ausstellungen und Workshops es dort gibt und wie viele Leute man dort auf kreativer Ebene trifft“, zählt Riekoff auf und vergleicht: „Da gibt es hier in Mecklenburg doch noch ganz schön Nachholbedarf, auch vom Essen her kulinarisch viel mehr Vielfalt.“

In die Welt hinaus

Riekoff hat die weite Welt kennengelernt: Seine Arbeiten werden auf internationalen Ausstellungen gezeigt, auf dem Sónar-Festival in Barcelona und der transmediale in Berlin. Er hat Installationen für den Flughafen in Singapur gestaltet, wie z. B. „Kinetic Rain“ mit 608 Regentropfen aus leichtem, mit Kupfer bedecktem Aluminium, die an dünnen Stahlseilen über Rolltreppen aufgehängt sind. Jeder Tropfen wird in einer 15-minütigen, rechnerisch entworfenen Choreographie von einem computergesteuerten Motor scheinbar schwebend bewegt. Für das Contemporary Art Centre im spanischen Cordoba kreierte er eine 100 Meter lange Licht- und Medienfassade direkt am Río Guadalquivir. Für einen Personentunnel im Schweizerischen Winterthur entwickelt Riekoff eine 45 Meter lange, farblich changierende Lichtwand, die sich in Echtzeitbespielung durch die Programmierung verschiedener Zeitzyklen wie Jahreszeiten, Sonnen-, Mondphasen ständig verändert.

Werdegang

„Eigentlich wollte ich immer Grafik Design studieren, habe aber keinen Studienplatz bekommen“, erzählt Riekoff. Notgedrungen habe er dann Medien-Informatik studiert, mit der Vorstellung, er könne damit dann sicher auch noch so etwas wie Webseiten machen. Beim Programmieren entdeckt er, dass man dabei auch Kunst erschaffen kann: „Man schreibt Algorithmen und diese Algorithmen malen dann Bilder, erstellen Grafiken und Animationen. Ich habe gemerkt, dass das etwas ist, was mir ganz gut liegt. Mathe und Physik fielen mir in der Schule leicht und zur Kunst hatte ich einen abstrakteren Bezug, der sich aus Streetart und Graffiti heraus speiste. Das hat dann irgendwie ganz gut zusammengepasst.“ Riekoff sattelt zusätzlich an der Universität der Künste ein Studium in „Experimenteller Mediengestaltung“ auf. Der Doppelabschluss als  ausgebildeter Ingenieur in Informatik und ausgebildeter Künstler an einer Kunsthochschule wurde zur idealen Grundlage, um dann als Medienkünstler und Computerdesigner zu arbeiten.

In Deutschland

Für das Deutsche Salzmuseum Lüneburg entwickelte Riekoff mit einem Kreativteam eine virtuelle Reise zu den wichtigsten Salzhandelsrouten zwischen Ländern und Kontinenten. Auf einer Weltkarte sind 34 sensorempfindliche Salzkristalle verteilt. Bei Berührung emittieren Millionen von Salzpartikeln je nach der Menge an Vorkommen in den jeweiligen Regionen über die Weltkarte, rutschen quasi an den Bergkämmen nach unten und fließen schließlich in die Meere. Bei Berührung beginnen die Kristalle zu glühen und verschmelzen zu einem Informationsfenster, über das der Besucher Texte, Bilder und Filme zum Thema abrufen kann.

Im Fokus seiner Arbeit stehen aktuell interaktive Installationen, generative Systeme und Physical Computing. Dabei verbindet er Programmierfähigkeiten mit Designkompetenzen. Neben der Arbeit an freien und kommerziellen Projekten lehrt Riekoff nun selbst Computational Design an seiner ehemaligen Universität der Künste Berlin und gibt Workshops an weiteren Universitäten.

Vom Kopf in den Computer

Anfragen für Aufträge erreichten Riekoff unter anderem aus der Autostadt in Wolfsburg und aus Bonn. Für das Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 sollte das Geburtshaus des Komponisten neue Impulse erhalten. Im kleinen, dunklen Geburtszimmer, in dem bisher nur eine Büste von Beethoven stand, positioniert Riekoff einen Spiegel und kombiniert ihn mit einem Partiturblatt. Mit Hilfe eines Computer-Algorithmus‘ überführt er Beethovens Notenschrift in ein Textzitat. Vier Wochen hat Riekoff über dieser Idee gebrütet. Auch wenn sich die technischen Möglichkeiten gerade für Medienkünstler immer wieder ändern, geht der digitalen Arbeit am Computer stets die vorbereitende „analoge“ Kopfarbeit voraus. Für den Nutzer bzw. Besucher bleibt diese Ebene meist unsichtbar und damit auch ihr Aufwand und Wert.  

Lichtinstallation für die Region

Infolge privater Veränderungen lebt Riekoff inzwischen in Schwerin. Kein Problem, zumindest in der Landeshauptstadt ist das Internet schnell und stabil. Auf dem platten Land in den Dörfern allerdings ist das noch immer ein Riesenproblem. Noch immer kommen Riekoffs Auftraggeber vor allem aus den Großstädten. Dabei würde er gerne öfter etwas für seine unmittelbare Umgebung tun. Ein einziges Mal war das bisher möglich. Im Rahmen eines Wettbewerbs in Westmecklenburg entstand die Idee, leerstehende Geschäfte mit Licht neu zu inszenieren und damit aufzuwerten. Riekoff nutzt abstrakte Formen und Fragmente von konkreten Bildern, um den leerstehenden Läden Impulse für neue Nutzungskonzepte zu geben. Und er spielt mit der Magie des Kaleidoskops: So wie das Bild eines Kaleidoskops beim Betrachten variiert, so verändert sich auch der Nutzen in den Läden der Mecklenburgische Altstädte.

Neue Perspektiven durch Lichtkunst

Riekoff möchte mit seiner Kunst etwas bewirken, auch auf soziale Missstände aufmerksam machen, die er in seiner neuen Wahlheimat Schwerin beobachtet, „z. B. zwischen der Platte und dem Marienplatz. Meine Idee ist, eine Lichtbrücke zu bauen mit einem Laserstrahl, der vom Schweriner Fernsehturm vom Dreesch bis zum Dom leuchtet, damit die Spaltung bzw. der Versuch einer Verbindung für alle sichtbar wird. Das wäre für mich so ein Startpunkt, um hier in der Region künstlerisch etwas anzuschieben, besonders in der Wahrnehmung und im Denken der Bewohner.“

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