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Befürworter und Praxisprojekte mit bedingungslosem Grundeinkommen

„Boden unter den Füßen und Auftrieb unter den Flügeln“

Die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird oft von ideologischen Grabenkämpfen bestimmt.  Im 2. Teil der Reihe werden die Thesen prominenter Befürworter vorgestellt, best-practice-Projekte, die den Erfolg des BE darlegen, sowie künftig geplante Projekte mit dem BGE zum Weiterlesen. In Teil 3 geht es dann um Effekte und Wirkungen des BGE auf die Kreativbranche und damit für die gesamte Gesellschaft.

Befürworter von bedingungslosem Grundeinkommen und ihre Thesen

Daniel Häni, Unternehmer und Enno Schmidt, Künstler: Protagonisten der Schweizer „Initiative Grundeinkommen“ von 2006. 2008 entstand ihr Film Grundeinkommen – ein Kulturimpuls. 2012 lancierte Häni gemeinsam mit anderen die Schweizer Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ und schrieb gemeinsam mit Philip Kovce das Buch zur Abstimmung: „Was fehlt, wenn alles da ist?“ Häni glaubt, dass BGE sei mehr eine Frage des Vertrauens als eine Frage des Geldes: „Das bedingungslose Grundeinkommen ist die humanistische Antwort auf den technologischen Fortschritt.“ Am 5. Juni 2016 haben die Schweizer im Rahmen einer landesweiten Volksinitiative über ein bedingungsloses Grundeinkommen abgestimmt:  76,9 Prozent sind gegen ein BGE, 23 Prozent dafür. Für Daniel Häni ist es dennoch ein moralischer Sieg.

Henning Vöpel, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, spricht sich im Zusammenhang mit Corona im April 2020 für ein (temporäres) Bedingungsloses Grundeinkommen aus. Abgesehen von den positiven Aspekten eines BGE zur Konjunkturbelebung würde es JETZT alle unterstützen. „Das BGE kann Vertrauen schaffen, das dazu führt, dass Menschen wissen, ich überlebe (die Krise) wirtschaftlich … Die soziale und kulturelle Infrastruktur lebt von der Vielfalt der Unternehmer und Angebote. Und ich befürchte, wenn es länger dauert und wir keine radikale Möglichkeit haben, diese selbstständigen Leute zu unterstützen, dass dann nach der Krise sehr viel fehlen wird ZEIT und (ab 19:15-23:00) NDR

Thomas Jorberg, Vorstandssprecher der GLS Gemeinschaftsbank sieht das Grundeinkommens vor dem Hintergrund des heutigen Verteilungsproblems positiv: „Es gibt viel zu tun, aber die Aufgaben finden nicht zu den Menschen, die sie erledigen könnten und die Menschen finden nicht die Aufgaben, die sie erfüllen wollen. Dabei wollen sich viele gerne einbringen. Gleichzeit gibt es zu viel Geld, das sich wenige Besitzer konzentriert und bei vielen Menschen nicht ankommt. Zudem produzieren wir ein Überangebot an Produkten und schmeißen vieles weg, während anderweitig gehungert wird. Bei diesen Verteilungsfragen könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen ein neues Denken und neue Wege ermöglichen.” Wirtschaft für Grundeinkommen

Georg Schürmann, Geschäftsleiter der triodos Bank geht der Frage nach, wie die Arbeit der Menschen in Zukunft aussehen wird, gerade wenn im Zuge zunehmender Digitalisierung immer mehr Tätigkeiten von Robotern und Software übernommen wird und sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet. „Deswegen brauchen wir neue sozialpolitische Systeme, die eine sinnvolle Umverteilung ermöglichen. In diesem Diskurs sollten wir die Idee des Grundeinkommens ernst nehmen.“ Wirtschaft für Grundeinkommen

Luisa Neubauer, Fridays for Future spricht sich unter dem Eindruck der Corona-Krise dafür aus, die künstliche Arbeitsplatzsicherung zu beenden, „um die Türen zu öffnen für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Meinetwegen können wir das auch Lebensinnovationsprämie nennen.“ taz 

Joe Kaeser, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, sieht das BGE als soziale Absicherung für jene Menschen, die „auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen“. Es sei wichtig, „dass die Menschen versorgt sind …  eine Art Grundeinkommen (wird) völlig unvermeidlich sein“. SZ-Wirtschaftsgipfel

Thomas Straubhaar, eh. Direktor des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Instituts (HWWI), kritisiert am derzeitigen System, dass die Sozialbudgets zu überwiegendem Anteil durch Sozialbeiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber über die Lohnnebenkosten finanziert werden. Dies wirke wie eine „Strafsteuer auf Arbeit“, belaste einseitig die Schultern der Arbeitskräfte, während auf Maschinen, Automaten und Importe keine Sozialbeiträge erhoben würden. „Künftig werden Roboter nicht nur Autos montieren, sondern auch Loks fahren und Menschen operieren. Das erfordert einen neuen Sozialstaat und ein Grundeinkommen für alle.“
Die ZEIT JUNI 2016 / Die ZEIT Februar 2017  / https://youtu.be/9QzmsSSTFP0 / https://youtu.be/ugcNnaFQRlA  

Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG, sieht das BGE als Antwort auf die Veränderungen der Arbeitswelt. „Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann eine Grundlage sein, um ein menschenwürdiges Leben zu führen … Wir müssen unsere Gesellschaft absichern. Deswegen die Idee des Grundeinkommens … Es könnte eine Lösung sein – nicht heute, nicht morgen, aber in einer Gesellschaft, die sich durch die Digitalisierung grundlegend verändert hat.“ ZEIT

Philip Kovce, Ökonom und Philosoph, veröffentlichte 2017 gemeinsam mit Daniel Häni das Manifest zum Grundeinkommen „Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Manifest zum Grundeinkommen“ (2017).  Unter den Eindruck der Corona-Krise sagt er: „Die Zeit ist reif für das Grundeinkommen! Das bedingungslose Grundeinkommen macht weder faul, noch ist es prinzipiell unbezahlbar oder ungerecht. Diese populären Einwände erweisen sich schlicht als falsch und sollten seine Einführung nicht länger behindern.“ DLF Kultur

Adrienne Goehler, Publizistin und Kunst-Kuratorin, ehemalige Präsidentin der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, sie war Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin und Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds. Zum BGE sagt sie in ihrem Buch „1000 Euro für jeden: Freiheit. Gleichheit. Grundeinkommen“: „Deutschland hat ein enormes kreatives und kulturelles Potenzial. Der Skandal ist: Es wird nicht zum Wohle der Gesellschaft genutzt. Wissenschaft und Künste bleiben im Ghetto, die Politik schottet sich ab.“ In ihrem gemeinsamen Buch mit Götz Werner „1000 € für jeden“ zeigt sie Alternativen.

Götz Werner, Gründer und eh. Geschäftsführer von dm-drogerie markt, plädiert in seinem Buch „Einkommen für alle“ für eine Konsumsteuer anstelle einer Einkommenssteuer. Denn: man müsse das Ergebnis der Wertschöpfung besteuern, also Produkte und Dienstleistungen, und nicht die Arbeit an sich. Werner vergleicht die aktuelle Situation mit einem Obstbaum: Man solle den Baum nicht vor der Ernte fällen. Wer bereits den Anbau von Äpfeln besteuert und nicht erst deren Verbrauch, betreibe „Knospenfrevel“. Und wer den Lohn der Apfelpflücker besteuere, schmälere ihre Bezahlung und damit ihre Kaufkraft. Mit der Einführung der Konsumsteuer und des BGE bei Abschaffung der Einkommen- und Lohnsteuern, so Werner, würde menschliche Arbeit endlich gesamtwirtschaftlich mit der Maschinenarbeit gleich gestellt.

Denis Bartelt, Geschäftsführer und Gründer der crowdfundingplattform startnext glaubt fest daran, dass ein BGE in der Lage ist, kreatives Potenzial in jedem Menschen freizusetzen: „Dieses Potenzial zu heben, muss Anspruch unserer Gesellschaft im 21 Jh. sein. Ich sehe darin ausserdem die einzige Antwort auf die fortschreitende Entwicklung, die Menschen schon heute dort ersetzt, wo Maschinen besser und effektiver Arbeit verrichten können. Kreativität kann nur gefördert werden, wenn die Existenz gesichert ist. Die Fähigkeit kreativ zu sein, unterscheidet den Mensch von einer Maschine.“ Wirtschaft für Grundeinkommen

Sebastian Koeppel, geschäftsführender Gesellschafter der beckers bester GmbH sieht das Thema BGE vor allem als eine Frage des Menschenbildes: „Unterstelle ich, dass Menschen von ihrer Natur her faule Schmarotzer sind, dann muss ich die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen als Bedrohung wahrnehmen. Bin ich aber der Überzeugung, dass der Mensch (oder zumindest die Mehrheit der Menschen) ein vernunftbegabtes und sinngetriebenes Wesen ist, werde ich an dem Gedanken eines bedingungslosen Grundeinkommens gar nicht vorbeikommen! Ich habe mich entschieden! Aus meiner Sicht sollten wir mit aller Kraft das „Wie“ und nicht  mehr das „Warum“ diskutieren!“ Wirtschaft für Grundeinkommen

Wolf Lotter, Historiker, Journalist, Mitbegründer des Wirtschaftsmagazins brandeins: „Eine Grundausstattung für alle muss garantiert sein. Eine Gesellschaft braucht einen Fußboden, unter den niemand geraten darf.“ brandeins 2005 / „Ich bin auf jeden Fall dafür, (den Menschen) die grundlegende materielle Existenz zu sichern. Es macht die Menschen mutiger sich auszuprobieren und sich zu finden, was ohne existenzielle Sicherheit nicht möglich ist. Sie ist eine Grundkondition des 21. Jahrhunderts… “ (28.04.2020 BuceriusLab-Online „Was die Wissensgesellschaft aus der Krise lernen kann“, eigene Mitschrift).

Bernd Leukert, Vorstandsmitglied von SAP: „Ich bin der Meinung, dass man die Bedingungen für ein faires Einkommen nicht der Wirtschaft überlassen sollte. Hier ist die Politik gefragt, den richtigen Rahmen zu setzen…“ Die FAZ fragte genauer nach: Bis hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen? „Ja, davon würden langfristig auch diejenigen profitieren, die weiterhin höhere Gehälter beziehen. Wenn wir an dieser Stelle nichts tun, droht die Gesellschaft auseinanderzubrechen.“

Richard David Precht, Philosoph: „Für viele Leute wird es infolge der 4. industriellen Revolution keine Verwendung mehr geben. Wir müssen daher unseren Begriff von Arbeit neu definieren und wir müssen so etwas wie ein Grundeinkommen einführen, sonst brechen uns die Binnenmärkte zusammen. Die Wirtschaft kann wohl kaum ein Interesse daran haben, dass es keine Konsumenten mehr gibt oder dass Millionen arbeitslos sind.“ ORF 2

Elon Musk, eh. Mitgründer des Online-Bezahlsystems PayPal, Gründer des Raumfahrtunternehmens SpaceX und Tesla Motors, prognostiziert eine Arbeitswelt mit immer mehr Robotern und künstlicher Intelligenz. Den Regierungen bliebe keine andere Möglichkeit, als den Menschen ein bedingungsloses Grundeinkommen auszuzahlen. Gleichuzeitig könnten sich die Menschen dann interessanteren und komplexeren Aufgaben zuwenden. CNBC

Yanis Varoufakis, griechischer Politiker, hat in seinem Buch „Das Euro-Paradox“ eine Roboterabgabe angeregt, eine Maschinensteuer, die einen Teil des finanziellen Gewinns der Unternehmen durch Technikeinsatz der Allgemeinheit zuführen soll. Darüber hinaus fordert er die Finanzierung des Grundeinkommens aus Kapitalerträgen, also „Gesetze zu beschließen, die … einen gewissen Prozentsatz des Kapitals (Aktien) aus jedem Börsengang in ein Aktiendepot der Allgemeinheit leiten … in ein Grundeinkommen.“ Um jeglicher Unterstellung von Technikkritik vorzubeugen, weist Varoufakis darauf hin, dass es „nicht um einen Protest gegen die Automatisierung (geht), sondern gegen soziale Strukturen, die sie (die Menschen) angesichts der technologischen Innovationen ihrer Lebensperspektiven beraubten.« ND

Jürgen Schmidhuber, Informatiker und Direktor des Schweizer Dalle-Molle-Forschungsinstituts für Künstliche Intelligenz (kurz: IDSIA): „Roboterbesitzer werden Steuern zahlen müssen, um die Mitglieder unserer Gesellschaft zu ernähren, die keine existenziell notwendigen Jobs mehr ausüben. Wer dies nicht bis zu einem gewissen Grad unterstützt, beschwört geradezu die Revolution Mensch gegen Maschine herauf.“ Blick

Neil Jacobstein, Experte für Künstliche Intelligenz: „Noch ist ja nicht klar, wie sich die Automatisierung der Arbeitswelt entwickeln wird. Aber eines steht fest: Diese neuen Geschäftsfelder – in Robotik, Nanotechnologie oder eben auch Künstlicher Intelligenz – werden sehr hohe Gewinne generieren. Daher macht es Sinn, über ein Grundeinkommen nachzudenken. Das würde dann bedeuten, dass jene etwa, die ihren Job verloren haben, sich mit einem Grundeinkommen über Wasser halten und entweder wieder in Ausbildung gehen können oder einfach ihren Hobbys nachgehen können.“ tagesschau

Joseph Beuys, Künstler, plädierte schon lange bevor der Begriff BGE im Umlauf war, für die Idee des Grundeinkommens, als Spiegel-Journalist Peter Brügge den Künstler fragte, was mit den in der Wirtschaft „Wegrationalisierten“ geschehen sollte: „Wenn dann einer ein Apparätchen erfindet, mit dem man 200 Arbeitsplätze spart, dann gibt es ja keine Arbeitsstrittigkeit wie heute. Sondern dann steigen die Menschen aus, um ihre Fähigkeiten höher zu entwickeln. Und sie werden für diese Fähigkeit des Sichentwickelns und Lernens bezahlt in genau derselben Weise, wie sie bezahlt würden für die Herstellung von Besenstielen.“ Spiegel-Interview, 4.6.1984  

Milton Friedman, auf den US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler geht die Idee der „negativen Einkommenssteuer“ aus dem Jahr 1960 zurück. Friedman schlug vor, dass der Staat für Erwerbseinkommen einen Schwellenwert festlegen solle: Wer darüber liege, müsse Steuern bezahlen, wer darunter liege, habe Anspruch auf einen Existenz-Zuschuss. 2008 hat sich der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages mit Friedmans Konzept beschäftigt. 

Als Sozialstiftung befürwortet auch die deutsche Benckiser-Stiftung Zukunft das BGE: „Aus Bürokratie wird Effizienz. Aus Kontrolle das Vertrauen in die freie Entscheidung des Einzelnen. Und aus dem Bittsteller — egal ob in Kenia oder in deutschen Jobcentern — wird ein Empfänger auf Augenhöhe, der sein Schicksal selbstverantwortlich in die Hand nimmt.“ 

Karl Reitter, langjähriger Lektor an den Universitäten Wien und Klagenfurt, Privatdozent für Philosophie, Ehrenmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen der Partei Die Linke (Österreich), Redaktionsmitglied der österreichischen Monatszeitung „Volksstimme“, befasst sich seit vielen Jahrzehnten wissenschaftlich mit der Frage des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE). In diesem ausführlichen Artikel spricht er im Interview über die Möglichkeit und Notwendigkeit von Grundeinkommensmodellen, die durch Corona aktuell geworden sind:  Grundeinkommen überwindet mit der Lohnarbeit den Kern der kapitalistischen Vergesellschaftung, April 2020

686228_web_R_K_B_by_Maik Schwertle_pixelio.de © Maik Schwertle, pixelio.de

Ausgewählte Praxisprojekte mit BGE

Alaska, Iran, Mongolei

Seit 1976 fließen in Alaska mindestens 25% der staatlichen Rohstoffeinnahmen in den „Alaska Permanent Fund“ (APF). Die Hälfte des jährlichen Gewinnes wird seit 1982 über eine Dividende direkt an die BewohnerInnen Alaskas (ca. 650.000) ausgeschüttet. In der Mongolei soll die Bevölkerung am Verkauf von Bodenschätzen (u. a. Gold, Kupfer) beteiligt werden. Auch im Iran sollen die Bürger an den Gewinnen der Ölförderung beteiligt werden. Pro Person wird zweimonatlich ein Betrag von umgerechnet 80 US-Dollar gezahlt, also 480 US-Dollar pro Person und Jahr. Mehr als 80 % der Iraner haben einen Bewilligungsantrag gestellt.

Brasilien

Seit 2005 bemüht sich die brasilianische Regierung mit staatlichen Programmen, das enorme Armutsgefälle mit Beihilfen zum Familieneinkommen und zur Energieversorgung auszugleichen. Bildung, Arbeit und Wohlstand heißen die Ziele. Dem jeweiligen Haushaltsjahr entsprechend soll das Familienstipendium (Bolsa Família) zuerst die „bedürftigsten Schichten“ erreichen und später graduell auf alle Einwohner ausgeweitet werden.

Kanada

In der Stadt Dauphin der kanadischen Provinz Manitoba erhielten 1.300 Familien zwischen 1975 und 1979 ein staatlich garantiertes Minimaleinkommen. Eine vierköpfige Familien mit weniger als 13.000 Dollar Einkommen im Jahr, erhielt bis zu 5.800 Dollar. Das Ergebnis: Die Menschen arbeiten auch mit dem BGE weiter, waren angstfreier, daher gesünder und motivierter. Das Besondere: Auch Teilnehmer ohne Lohnarbeit erhielten diese Förderung.

Wegen mangelnder Budgets musste das Experiment vorzeitig abgebrochen werden. Erhebungen und Erkenntnisse werden erst seit 2005 im Rahmen der Studie Stadt ohne Armut analysiert und ausgewertet. Die Soziologin Evelyn Forget verglich die Daten der damaligen Bewohner von Dauphin mit denen der damaligen Mitbürger aus den Nachbarstädten. Demnach wirkt sich ein Grundeinkommen in vielerlei Hinsicht positiv auf eine Gesellschaft aus: Teilnehmer mussten seltener zum Arzt, psychische Beschwerden gingen zurück, es gab 8 Prozent weniger Krankenhausaufenthalte. Mehr Jugendliche schlossen die Schule mit dem Abitur ab, weil ihr Lebensunterhalt gesichert war.

Deutschland

Berlin: Ab 1. Juli 2019 soll das vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller initiierte solidarische Grundeinkommen testweise an den Start gehen. Zunächst 250 Arbeitslose sollen es erhalten, schrittweise sollen 1.000 Menschen an dem Versuch teilnehmen, die noch kein Jahr arbeitslos sind und in absehbarer Zeit auf dem ersten Arbeitsweg nicht vermittelt werden können. Allerdings handelt es sich genau genommen nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen, sondern um ein solidarisches, denn die Teilnehmer erhalten den Tarif- bzw. Mindestlohn für gemeinnützige Tätigkeiten, z. B. als Betreuer in Kitas, als Hausmeister oder Mobilitätsbegleiter. Quelle: Tagesspiegel

Schleswig-Holstein: Die neue Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP hatte 2018 testweise ein Bürgergeld als Pilotprojekt geplant, u. a. in Flensburg. Später wurde der geplante Feldversuch dann aber abgesagt. Quelle: Netzwerk-Grundeinkommen 

Brandenburg: Der 2009 von der Stuttgarter Breuninger-Stiftung angekündigte Feldversuch für ein bedingungsloses Grundeinkommens 100 mal Neues Leben – arbeiten in der Uckermark konnte bislang nicht in der ursprünglich geplanten Form stattfinden.

Mecklenburg: In Alt Rehse (Mecklenburgische Seenplatte) hatte die Gemeinschaft Tollense Lebenspark ein Konzept für ein „Grundauskommen“ entwickelt. Die bis zu 40 Lebenspark-Mitglieder wollten Einnahmen über Öko-Seminare, Tierhaltung, Gastronomie und Vermietung generieren. Das Pilot-Grundauskommen finanzierte sich aus Einzahlungen aller Bewohner durch einen prozentualen Teilbetrag aus jedem Einkommen. Weitere Gelder sollten durch  die Stiftung Lebenspark eingeworben und in einem Fond verwaltet werden. Das Projekt scheiterte an unlauteren Einzelinteressen, ebenso das angedachte Modell einer Genossenschaft. Das 2014 eingestellte Projekt litt von Anfang an unter Geldmangel, wie Gutachter feststellten. Die Betreiber des alternativen Wohnprojekts wurden 2015 wegen Kreditbetrugs und Urkundenfälschung zu einer Bewährungs- und einer Geldstrafe verurteilt.

Die private Initiative mein-grundeinkommen.de verlost seit 2014 – finanziert durch Bürger-crowdfunding – ein Grundeinkommen von 1000 € im Monat für ein Jahr. Die Gewinner berichten, wie Sie die Chance für eigenen Projekte genutzt haben.  Ab 2020 betreibt die Initiative gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW Grundlagenforschung zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Im Rahmen des Pilotprojekts Grundeinkommen werden die individuellen Effekte von 1.200 € zusätzlich pro Monat erforscht. So sollen Wirkungmechanismen des BGE auf die Gesellschaft gesammelt und untersucht werden. Die Effekte werden mit einer Vergleichsgruppe überprüft. In zwei weiteren Studien werden anschließend Grundlagen der Finanzierbarkeit getestet. Die Meinungen über das BGE gegen auseinander: Die Gegner des BGE befürchten, dass sich Menschen ohne Notwendigkeit zur Lohnarbeit ungebraucht fühlen. Die Befürworter sind überzeugt, dass mehr Freiheit und weniger Druck zu mehr Selbstvertrauen und Gesundheit führen. Das Pilotprojekt soll endlich wissenschaftliche Erkenntnisse liefern.

Finnland

Im Juni 2015 legte finnische Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag fest, als erstes europäisches Land ein Grundeinkommen zu testen. Laut einer Umfrage der finnischen Sozialversicherung befürworten mehr als die Hälfte der Finnen ein Grundeinkommen. In einem zweijährigen Experiment werden ab 2017 die Auswirkungen untersucht. Der Staat zahlt an 2000 ausgewählte Arbeitslose zwei Jahre lang monatlich 560 Euro. Ein Forschungsteam um Sozialwissenschaftler Olli Kangas betreut das Pilotprojekt. Leiterin Toronen sagt in einem Interview in der Wirtschaftswoche: „Viele haben auch ein Unternehmen gegründet. Sie hätten sich das vorher nicht getraut, weil sie keine finanzielle Absicherung hatten.“ Mehr Infos bei der Initiative „Mein Grundeinkommen„. Das Projekt wurde nach nur zwei Jahren im Frühjahr 2018 überraschend eingestellt, wie BusinessInsider berichtet.

Kenia

Mit dem Pilotprojekt GiveDirectly soll ab 2016 etwa 6.000 Bewohnern in etwa 12 Dörfern in Kenia 10 bis 15 Jahre lang ein Grundeinkommen ausgezahlt werden, insgesamt 30 Millionen Dollar, etwa 42 US-Dollar pro Kopf und Monat. Da in Afrika die Lebenshaltungskosten für einen mittleren Haushalt gering sind, kann schon mit diesem überschaubarem Finanzvolumen ein Grundeinkommen an so viele Menschen ausgezahlt werden, wie für eine aussagekräftige Statistik nötig sind. Es wird ohne Gegenleistung und ohne Bedingungen der Geber in die Hände der Empfänger übergeben. Es ist das bislang umfangreichste und längste BGE-Pilotprojekt weltweit. Es wird von Abhijit Banerjee, einem Wirtschaftsprofessor am Massachusetts Institute of Technology und renommierten Entwicklungsökonom, wissenschaftlich ausgewertet. Folgende Fragen sollen u. a gestellt werden: Wie werden sich die Empfänger verhalten? Wie wird sich das soziale Leben in den Dörfern ändern?

Namibia

2008 finanzierten mehrere Organisationen, u. a. Kirchen, Aids-Hilfe und Gewerkschaften, im Dorf Otjivero-Omitara für zwei Jahre ein garantiertes bedingungsloses Grundeinkommen (Basic Income Grant). Anschließend erhielten die vorherigen Teilnhemer für weitere zwei Jahre ein Überbrückungsgeld von monatlich 80 NAD (ca. 8 EUR) aus Spendengeldern. Die Regierung sollte mit dieser Initiative dazu bewegt werden, das Grundeinkommen landesweit einzuführen. Die Bonner Initiative Grundeinkommen hat über das Projekt, seine Auswirkungen und den aktuellen Stand eine Wander-Foto-Ausstellung erstellt mit der Frage: Sind die Erfahrungen aus dem Namibia-Projekt übertragbar? Infolge des Grundeinkommens konnten die Menschen in Namibia sich besser ernähren, sie entwickelten wirtschaftliche Initiativen, die Kriminalitätsrate sank und mehr Kinder konnten zur Schule gehen. Kritische Stimmen allerdings beklagen, externe Personen würden keinen Zugang zu den gewonnen Daten erhalten.

Niederlande

Die niederländische Stadt Utrecht und die niederländische Regierung zahlen seit 2017 ein bedingungsloses Grundeinkommens in Höhe von 960 Euro an 250 arbeitslose Testpersonen.  Die Testgruppe ist unterteilt: die Forscher wollen dadurch mehr über menschliches Verhalten und Eigenmotivation erfahren. In der ersten Gruppe kann ein Arbeitsloser am Monatsende nochmals 150 Euro erhalten, wenn er sich ehrenamtlich engagiert. In der zweiten Gruppe erhält er 150 Euro im Voraus. Wenn er/sie nicht ehrenamtlich tätig geworden ist, muss er/sie den Betrag am Monatsende zurückzahlen. Begleitet wird das Vorhaben von Wirtschaftswissenschaftler Loek Groot von der Universität Utrecht. Er will diesen Fragen nachgehen: Suchen die Menschen dennoch nach Arbeit? Bilden sie sich fort? Werden sie zu Gründern? Ändern sie ihr soziales Verhalten? Steigen oder sinken die Kosten für die Stadt? 

Sambia

Das Projekt der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ (eh. GTZ) wurde 2005 in der Provinz Kalomo initiiert, deren Bewohner stark von Aids betroffen sind. Finanziert werden Familien ohne Eltern bzw. erwachsene Geschwister: Großeltern mit Kindern erhalten eine Direktzahlung ohne jede weitere Bedingung, Das Grundeinkommen bewirkte, dass sich die Gesundheitssituation deutlich verbesserte, die Unterernährung zurück ging und Kinder wieder zur Schule gehen konnten. Statt Geldmissbrauch profitierte die lokale Wirtschaft. Dennoch wurde das Projekt von der GIZ eingestellt.

Schweiz

Am 5. Juni 2016 haben die Schweizer gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens gestimmt. Initiator war die Initiative um Daniel Häni und Enno Schmidt: Grundeinkommen.

USA

Bereits Ende der 1960er wollte Präsident Nixon einen sogenannten Family Assistance Plan mit einem garantierten Einkommen durchsetzen. In den 1970er Jahren gab es dann erstmals fünf große Projekte, die die Auswirkungen des Grundeinkommens untersucht haben: in New Jersey, North Carolina, Seattle, Denver und Gary. Das Modell entsprach dem der „negativen Einkommenssteuer“ – siehe Milton Friedman, 1960.

2017 hat das US-amerikanische Roosevelt-Institut in einer Studie gezeigt, dass ein bedingungslosen Grundeinkommens dem Wirtschaftswachstum einen kräftigen  Schub gewähren würde. 

 © bedingungslos.ch

Übertragbare Erkenntnisse aus Projekten  mit Mikrokrediten

BGE-Kritiker führen häufig als Argument gegen das BGE an, ein bedingungsloses Grundeinkommen führe zu Faulheit und Untätigkeit, d.h. mit BGE würden sich viele Bürger in die soziale Hängematte legen. Die im Umfeld des Wirtschaftswissenschaftlers und Nobelpreisträgers Muhammad Yunus seit 1993 in Bangladesh gewährten Mikrokredite zeigen jedoch, dass eine finanzielle Grundausstattung gerade für Menschen ohne Einkommenssicherheit zur mehr Eigenverantwortung,  Selbstermächtigung und Unabhängigkeit führt, wenngleich die erhaltenen Zahlungen am Ende der Vertragslaufzeit mit Zinsen zurückgezahlt werden müssen. Über 90 % der Mikro-Kreditnehmerinnen waren bzw. sind Frauen. Yunus hat verschiedene Beispiele dokumentiert, nach denen sich Frauen mit den Mikrokrediten in Waren für Shops, Saatgut für Felder oder Nähmaschinen investieren und so besser für das Wohl ihrer Kinder und Familien sorgen konnten.

Nach Angaben der von Yunus gegründeten Grameen Bank soll die Rückzahlquote bei den Mikrokrediten bei 98 Prozent liegen. Kritiker, wie der NGO-Aktivist aus Bangladesch Khorshed Alam, warnen allerdings, das Mikrokredit-System könne ggf. auch zu weiterer Verarmung führen. Der effektive Zinssatz, den die Grameen Bank einhebe, liege zwischen 30 bis 60%.

Fest steht: Menschen übernehmen Verantwortung für ihr Leben, wenn ihnen die Möglichkeit dazu gegeben wird, z. B.  durch eine finanzielle Grundausstattung. Es ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, sich aktiv und vor allem sinnvoll in die Gesellschaft einzubringen. An Sinn fehlt es heute in nicht wenigen beruflichen Tätigkeitsfeldern. Wenn sich die Bürger dank BGE entsprechend ihrer Fähigkeiten wirklich sinnvoll in die Gesellschaft einbringen können,  wird es vermutlich weniger untätige Menschen geben als heute.

Mehr zum Thema:

Teil 1: BGE – Boden unter den Füßen und Auftrieb unter den Flügeln

Teil 2: BGE – Befürworter und Praxisprojekte mit bedingungslosem Grundeinkommen

Teil 3: BGE – Was das Grundeinkommen für die Kreativszene bedeuten würde …

Teil 4: BGE – Grundeinkommen wählen bei der Bundestagswahl 2017

3 Antworten zu “Befürworter und Praxisprojekte mit bedingungslosem Grundeinkommen”

  1. Henrik Wittenberg sagt:

    Was haben Mikrokredite in einer Auflistung mit BGE-Projekten zu tun?

    Ansonsten zur Ergänzung:
    http://bgekoeln.de/projekte/index.html

    • Antje Hinz sagt:

      Ich habe die Mikrokredite im Hinblick auf die Selbstermächtigung erwähnt, d. h. dass Menschen Verantwortung für ihr Leben übernehmen, wenn ihnen die Möglichkeit dazu gegeben wird, wofür es als Voraussetzung eine finanzielle Grundausstattung geben muss. Danke für Ihren Hinweis, es ist völlig richtig: Mikrokredite müssen – anders als das BGE – mit Zinsen zurückgezahlt werden. Ich habe den Absatz separiert, erst weiter unten mit einer Ergänzung angefügt.
      Es ging mir darum, gegen den Einwand der Faulheit zu argumentieren, den BGE-Kritiker häufig anführen. Ich halte das für Unsinn. Wie in meinem Artikel angeführt, ist es ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, sich aktiv und vor allem sinnvoll in die Gesellschaft einzubringen. Am Sinn fehlt es heute in nicht wenigen beruflichen Tätigkeitsfeldern. Wenn sich die Bürger dank BGE entsprechend ihrer Fähigkeiten wirklich sinnvoll in die Gesellschaft einbringen können, wird es vermutlich weniger Menschen geben als jetzt, die völlig untätig sind.

  2. Gretschel, Rita sagt:

    Aus Sicht eines Rentners betrachtet, verhält es sich so: In Deutscher Mark gerechnet, hatte er eine Rente von 2000 DM, jetzt eine Rente von 1000 Euro. Die Fixkosten sind geblieben, eher gestiegen. Ebenso die Preise. Somit braucht gerade ein Rentner die Grundsicherung, um den Ausgleich wiederherzustellen, was er mit der Abschaffung der Deutschen Mark verloren hat.

    Es grüsst R. Gretschel

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