Architektur: „Instant Home“ mit Origami-Technik
Reihe: Hilfe für Geflüchtete – Ideen und Impulse aus der Kreativbranche, Teil 6 – Architektur
Künstler und Kreativschaffende aus unterschiedlichen Branchen unterstützen überall in Deutschland Geflüchtete: egal ob im Theater oder auf der Opernbühne, in Film- oder Tonstudios, in Architektur- oder Designwerkstätten, in Kunst-Ateliers oder in multikulturellen Küchen, bei Flashmobs, Tanzperformances oder in Game-, App- und Web-Laboren. Die Beispiele der folgenden 10teiligen Blogreihe zeigen, dass Deutschlands Kreativszene ein starker Innovationsmotor für eine gelungene Integration ist, die Parallelgesellschaften vorbeugt und damit uns allen hilft.
© TU-Darmstadt, Projektleitung: Prof. Ariel Auslender
© TU-Darmstadt, Entwurf: Leila Chu, Foto: Sandra Junker
Architektur I: „Instant Home“ mit Origami-Technik
Die TU Darmstadt hat in einem ein faltbares Haus aus Wellpappe entwickelt, das Flüchtlinge temporär beherbergen soll. Das Projekt entstand in einem interdisziplinären Team der Fachbereiche Chemie, Architektur und Maschinenbau. Eine Beschichtung aus Wachs garantiert, dass das Instant Home wetterfest, zu 100% ökologisch und nach etwa 1jähriger Nutzung kompostierbar ist. Bett, Tisch und Regal im Inneren sind ebenfalls aus Wellpappe. Sie werden gleich mit eingefaltet und sorgen für zusätzliche Stabilität. Kosten pro Haus etwa 2.000 €. Die Suche nach Geldgebern für die Serienproduktion läuft. zum Filmbeitrag
Architektur II: Modulunterkünfte für mehr Menschenwürde
Der Künstler Daniel Kerber hat sich intensiv mit dem Thema Mensch und Raum beschäftigt. Er hat viele Länder bereist und vor allem in Flüchtlingslagern geforscht. Seine Erlebnisse und Erfahrungen mündeten in dem Wunsch, in den Camps menschenwürdigere Unterkünfte zu schaffen. Denn: Fast 60 Millionen Menschen leben heute in Flüchtlingslagern – durchschnittlich bis zu 12 Jahren. 2012 hat Kerber das Sozialunternehmen morethanshelters gegründet. In seinem interdisziplinärem Team aus Architekten, Designern, Ingenieuren, Sozialwissenschaftlern und Politologen ist querdenken ausdrücklich erwünscht. Sein Design- und Architekturbüro hat das langlebige, modulare Zeltsystem „Domo“ entwickelt. Es soll die Geflüchteten ermutigen soll, ihre Zukunft aktiv zu gestalten.
Die Geflüchteten können die mobilen Unterkünfte an klimatische Bedingungen und kulturelle Gewohnheiten anpassen. „Domo“ ist multifunktionell: Großfamilien können z. B. die Ein- und Ausgänge mehrerer Zelte miteinander verbinden. Materialien können individuell an die Region angepasst werden: „Wenn es vor Ort geeignete Materialien gibt, nehmen wir natürlich diese.“ sagt Kerber. „Planen könnten durch Wellblechplatten ersetzt werden, wie sie in Slums oft zum Hüttenbau verwendet werden.“ Darüber hinaus hat Kerbers Team atmungsaktive Stoffe entwickelt, die auch Hitze erträglich machen. Bisher stehen die Unterkünfte in Flüchtlingscamps in Jordanien, Nepal, auf der griechischen Insel Lesbos. In einem Hamburger Flüchtlingscamp wird ein „Domo“ als offene Begegnungsstätte und Teestube genutzt. Der Name kommt übrigens aus dem Esperanto und heißt „Zuhause“.
© Rainer Sturm, Pixelio
Architektur III: Willkommensarchitektur
Architekt Jörg Friedrich beklagt den provisorischen Charakter von Zeltstädten, Baracken und Turnhallen. Statt „Blechkistenarchitektur“ sollten Flüchtlingsunterkünfte heute als langfristige „Willkommensarchitektur“ konzipiert werden. Wo heute Geflüchtete leben, können morgen Studenten oder Menschen mit geringem Einkommen ein Zuhause finden. Zusammen mit seinen Studenten der Leibniz-Universität Hannover hat er sich über nachhaltige Alternativen Gedanken gemacht. Sein Vorschlag ist eine Mischnutzung in kleineren Quartieren, in Schrebergarten-Siedlungen und in aufgesetzten Modulen auf Parkhäusern. Friedrich hat ermittelt, dass z. B. in Hannover 40 % der zentrumnahen Parkhäuser nicht belegt sind und beste Voraussetzungen bieten: Sie sind angeschlossen an alle öffentlichen Verkehrsmittel, an Schulen, Universitäten und Einkaufsbereiche. Auch ein Blick in die Geschichte hilft, so Friedrich: Das schleswig-holsteinische Friedrichstadt entstand im 17. Jahrhundert völlig neu für Geflüchtete aus den Niederlanden. Heute leben in dem denkmalgeschützten Ort 20.000 Einwohner. Mehr über Wohnmodelle für Geflüchtete im Buch Refugees Welcome, erschienen im Jovis-Verlag.
© Rainer Sturm, Pixelio
Architektur IV: WIR – Wohnprojekt Bunte Mischung
Das Wohnprojekt in der Friedensallee 128 in Hamburg-Altona ist noch in der Konzeptionsphase. 15 %, also etwa jede 7. Wohnung soll an eine geflüchtete Familie vergeben werden. Der Plan: Alteingesessene und Neubürger, Männer, Frauen und Kinder, Junge und Alte, Menschen mit und ohne Behinderung wollen hier ihre Idee von einem sinnerfüllten Leben gemeinsamen in die Tat umsetzen – unabhängig von Berufs-, Lebens- und Herkunftswelten. Im Wohnprojekt WIR – Bunte Mischung sollen Kleingewerbe und Wohnungen nebeneinander entstehen und so Arbeitsplätze geschaffen werden, die den Menschen nach durchlittener Kriegs-, Hunger- und Fluchttraumatisierung ihre Würde zurückgeben: Wohnen und Arbeiten in Sicherheit und ohne Angst und Verfolgung.
© Stephanie Hofschlaeger, Pixelio
Architektur V: Um- und Mischnutzung eines Berliner Hochhauskomplexes
Berlin – Alexanderplatz: Noch immer stehen hier alten Gebäude leer, seit 2008 z. B. das ehemalige Haus der Statistik an der Otto-Braun-Straße. Künstlervereinigungen, Stiftungen und Vereine haben jetzt ein innovatives Konzept für eine Mischnutzung vorgelegt: Etwa die Hälfte des Hochhauskomplexes soll zum Wohnort für etwa 1000 Geflüchtete werden, in einem Viertel des Hauses Arbeitsräume, Ateliers und Galerien für „Berliner und geflüchtete Kulturschaffende“ entstehen. Geflüchtete und Künstler können miteinander leben und arbeiten: Geplant sind Bildungs- und Integrationsprojekte für Geflüchtete sowie der Bau von Kultur- und Begegnungsstätten.
Berlins Atelierbeauftragter Florian Schmidt formuliert das Vorhaben so: „Es geht uns um bezahlbaren Wohnraum und eine ganz andere Integration und Aufnahme von Flüchtlingen. Wir brauchen nicht nur Marken und Kommerz in der Innenstadt.“ Zu den Konzeptplanern gehören die Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser, das Zentrum für Kunst und Urbanistik, das Martinswerk Berlin e.V., die Stiftung Zukunft Berlin und die Belius-Stiftung.
Eine öffentliche Vernetzungs- und Informationsveranstaltung zur Entwicklung des Hauses der Statistik als Zentrum für Geflüchtete – Soziales – Kunst – Kreative findet statt – am Do, d. 28.1.2016, 10-13:30 Uhr
Ort: ZK/U (Zentrum für Kunst und Urbanistik), Siemensstraße 27, 10551 Berlin, Anmeldung bis zum 26.1.2016.
© Initiative Haus der Statistik
Reihe: Hilfe für Geflüchtete – Ideen und Impulse aus der Kreativbranche
Teil 1. Prolog: Hilfe aus der Kreativbranche für Geflüchtete
Teil 2. Theater: Neue Heimat auf der Bühne
Teil 3. Musik: Bridges – Musik verbindet
Teil 4. Museum: Mit Kunst gegen den Hass
Teil 5. Kunst: Geschichten aus dem Automaten
Teil 6. Architektur: „Instant Home“ mit Origami-Technik
Teil 7. Web, Apps, Games: Flucht als Selbsterfahrung
Teil 8. Kreatives für Geflüchtete: Kochen, Gärtnern, Flashmobs
Teil 9. Kulturarbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen
Teil 10. Medien für Geflüchtete: Ankommen und Lernen
Teil 11. Bürgeridee: Schulungsprogramme über Monitore für Geflüchtete
Teil 12. Nachlese: Kreative Ideen für Geflüchtete aus der Community
Aufruf: Noch mehr kreative Ideen für Geflüchtete gesucht!
Was können Künstler für Geflüchtete tun? In meinem Blog MassivKreativ stelle ich engagierte und nützliche Projekte von Kreativschaffenden vor. Die Liste der guten Beispiele soll weiter wachsen und anderen Mut machen, die ebenfalls Aktivitäten planen! Wenn Sie weitere kreative Projekten für Geflüchtete kennen, die ich bislang nicht erwähnt habe, schicken Sie mir gerne Ihre Infos. Ich sammle sie und berichte in einem neuen Artikel über weitere innovative Projekte. Infos bitte an mich: massivkreativ2015(at)gmail.com