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Auftakt Regionalentwicklung: KreativLab im Mühlenquartier in Bad Kleinen

 Land in Sicht – so der Titel des KreativLabs im Mühlenquartier in Bad Kleinen im Juni 2020. Im Fokus standen temporäre Coworking-Formate und innovative Geschäftsideen. Idyllisch und zugleich verkehrsgünstig zwischen Schwerin und Wismar liegt Bad Kleinen, ein lebens- und liebenswerter Ort am Nordufer des Schweriner Sees im Landkreis Nordwest-Mecklenburg. Die Kleinstadt mit rund 3.000 Einwohnern blickt zugleich auf eine traditionsreiche Geschichte zurück. Einer der größten Mühlenbetriebe in Norddeutschland war hier von 1915-1993 aktiv. Das Familienunternehmen Janssen wurde zu einem der wichtigsten Mehlproduzenten in Deutschland. Bis zu 20.000 Tonnen Mehl pro Jahr konnten dank Eisenbahnlinie und Bahnhof quer durchs Land transportiert werden. Der Bahnhof bietet noch heute direkten Anschluss in die Metropolen Berlin, Hamburg und Rostock.

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Zwischen Tradition und Zukunft: Herzensprojekt Mühle

Auf dem ehemaligen Gewerbegelände der Mühle wird nun Zukunft geschrieben – auf einer Fläche von etwa 6.000 m². Die denkmalgeschützten Industriebauten sollen revitalisiert werden, erzählt Hans Kreher, ehemaliger Bürgermeister und Vorsitzender im Entwicklungsausschuss der Gemeinde Bad Kleinen: „Das Mühlenquartier ist ein absolutes Herzensprojekt.“

Nach der Wende lag die Mühle viele Jahre brach. Finanz- und Immobilienmakler Egon Flemming erwarb das Gelände, um es aus dem Dornröschenschlag zu wecken. Aus dem mecklenburgischen Torgelow ist er aus Liebe zu seiner Frau nach Bad Kleinen gezogen, die in ihre Geburtsstadt zurückkehren wollte. Flemming hat große Pläne: Im ehemaligen Gewerbequartier der alten Mühle sind Lofts für die Dienstleistungswirtschaft geplant: Büros, Produktionshallen, Ateliers, ein Mühlenmuseum, ein Veranstaltungssaal und ein Bistro sind geplant, außerdem Miet- und Ferienwohnungen. Im 9-geschossigen Kornspeicher sollen Eigentumswohnungen entstehen. Das Souterrain soll zu einem Schwimmbad mit Wellness & Spa ausgebaut werden. Zum Abschluss der Quartiersentwicklung ist geplant, den Mühlenpark behutsam zu bebauen – mit einem zweieinhalbgeschossiges Gebäude-Ensemble aus Neubau-Mietwohnungen und Mietreihenhäuser. Egon Flemming betont: „Für die Umsetzung der vielfältigen Ideen sind Fördermittelgeber aus Kreis, Land und Politik gefragt und ebenso visionäre Ideen der Kreativschaffenden, um eine nachhaltige Entwicklung des Mühlenquartiers zu gewährleisten und dessen spätere Vermarktung. Kreative können zur Revitalisierung einen wichtigen Beitrag leisten, sie geben der Regionalentwicklung wertvolle Impulse.“ Das haben übrigens viele ähnliche Vorhaben in Mecklenburg-Vorpommern gezeigt (Landeswettbewerb Kreative Raumpioniere).

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Coworkation auf der Mühlenwiese

Der Start ist bereits für Ende Juli 2020 geplant – bei einem einwöchigen sommerlichen Coworkation: Coworking und Vacation, d. h. gemeinschaftliches Arbeiten verbunden mit ein wenig Erholung bzw. Urlaub. Kreativschaffende sollen die ersten sein, um die Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten im Grünen und am Wasser auszutesten. Wie genau das gelingen kann, wurde beim KreativLab am 11. Juni 2020 ausgelotet. Kreativakteure, Wirtschaftsförderer, Kommunal- und Gemeindevertreter, Touristiker und Regjonalentwickler aus anderen Bundesländern trafen sich zu einem lebendigen und fruchtbaren Austausch.

Initiiert und eingeladen hatte Corinna Hesse, Silberfuchs-Verlag / Labor für gesellschaftliche Wertschöpfung aus dem Landkreis Ludwigslust-Parchim – in Kooperation mit Kreative MV , dem neu gegründeten Landesverband Kultur- und Kreativwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern. 

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Raumwohlstand, WLAN und guter Kaffee

Stefanie Raab von Coopolis, Planungsbüro für kooperative Stadtentwicklung Berlin, erfragte in ihrem Impulsvortrag und im anschließenden Workshop, welche logistischen Voraussetzungen für die Coworkation-Woche geschaffen werden müssten: niedrigschwellig, kooperativ, gemeinsam solle sie sein mit Vorteilen und Nutzen für beide Seiten: Eigentümer Egon Flemming macht so den Standort bekannt, die Kreativen kombinieren Arbeit und Freizeit in idyllischer Umgebung. Sie kommen aus den umliegenden Metropolen, schlagen ihre Zelte auf der grünen Wiese auf, entdecken neugierig die Region, knüpfen Kontakte und Netzwerke mit Gleichgesinnten, entwickeln gemeinsame Ideen und Projekte, planen Ausflüge, finden Inspiration und tanken Kraft für neue kreative Vorhaben. Idealerweise erzählen sie anderen Daheimgebliebenen von ihren Erlebnissen und empfehlen Bad Kleinen als kreativen, lebenswerten Ort weiter. Für Coworkation braucht es gar nicht so viel, sagt Stefanie Raab: „Die Botschaft aus Bad Kleinen ins Umland sollte heißen: Herzlich willkommen. Wir bieten Euch Raumwohlstand, WLAN, Kaffee, Toiletten und Duschen. Bringt Ihr Eure Zelt und Eure Ideen mit und wir erleben gemeinsam einen wunderschönen Sommer.“

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Design Camp Bad Kleinen 2021: Zukunft im Blick

Im kommenden Jahr könnten schon weitere Kreative folgen. Im Sommer 2021 soll im Mühlenquartier Bad Kleinen ein Design-Camp stattfinden, bei dem neue Geschäftsmodelle und unternehmerische Vorhaben entwickelt werden – ko-kreativ mit regionalen Handwerksfirmen und weiteren Unternehmen, mit Kreativschaffenden aus dem Umland und den Metropolen Hamburg und Berlin. In einem weiteren Impulsvortrag und im zweiten Workshop des Tages gaben die beiden bereits erfahrenen Design-Camp-Veranstalter, Michael Seligund Nicole Servatius, ihre Erfahrungen und Hinweise aus der Grünen Werkstatt Wendland im Landkreis Lüchow-Dannenberg weiter. Die Akteure haben passgenaue Vernetzungsformate entwickelt: Frühstückstreffen am Morgen für die Freiberufler und für Berufstätige Austauschtreffen am Abend.

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Menschen, die etwas bewegen wollen

Die ältere Generation kommt von allein ins Wendland, erzählt Selig. Die Immobilienpreise sind explodiert, aber günstige Mietwohnungen für junge Menschen fehlen. Um Lösungen für dieses Problem zu finden, veranstaltete die Grüne Werkstatt 2019 das Tiny Living Festival: mobile Häuschen für leerstehende Höfe. Die Rahmenbedingungen sind überall anders, sagt Hans Kreher: „Mietwohnungen für junge Menschen haben wir in Bad Kleinen zur Genüge. Viele unserer Plattenbauten stehen leer.“  Seelig betont: Netzwerke lassen sich nur durch persönliche Kontakte herstellen. Die Vorhaben müssen erklärt und um Vertrauen geworben werden. Das gilt für die Studierenden in kreativen Fachbereichen an Hochschulen ebenso wie für die regionalen Unternehmen. Michael Seelig: „Man braucht jemanden, der das alles koordiniert. Ohne persönliche Ansprache funktioniert gar nichts“. Und sein wichtigster Rat: „Es ist nicht die Immobilie, die die Regionalentwicklung vorantreibt. Es sind gleichgesinnte Menschen, die gemeinsam etwas bewegen wollen.“ 

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Coworking und Communities auf dem Land

Gudrun Neuper von der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein berichtete in ihrem Impulsvortrag über Erfahrungen mit Coworking Spaces im ländlichen Raum. Die Vorteile: weniger Pendlerverkehr, weniger Schadstoffausstoß, mehr Zeit für Privates, lebendige Impulse für das Leben und die Gemeinschaft in den Dorfzentren. „Kein Coworking Space auf dem Land gleicht dem anderen, überall ist es anders. Aber stets ist die Kreativwirtschaft ein fruchtbarer Teil davon“, sagt Neuper. Die Initialzündung gibt die Böll-Stiftung oft mit einem  mobilen Container mit 10 bis 15 Arbeitsplätzen. So könne man zunächst Interesse und Bedarfe klären und erste Impulse setzen, so Neuper. Die Nachfrage war so groß, dass die Böll-Stiftung mit der CoWorkLand eG eine Genossenschaft gegründet hat, die ein organisatorisches Dach für die Initiatoren und Betreiber von Coworking-Spaces bietet. Seit 2019 sind über 50 von Schleswig-Holstein bis Bayern entstanden. Gudrun Neupers wichtigste Erkenntnis: „Was man für das Gelingen unbedingt braucht, sind bereits gewachsene Netzwerke und Communities vor Ort und die Bereitschaft der Gemeinden, Wirtschaftsförderer und Regionalentwickler, die Communities und die Coworking-Projekte bei ihren Vorhaben zu unterstützen.“  

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Nachhaltige, kokreative Mode

Jedes KreativLab bietet stets auch Gelegenheit für Ideenpitches, so auch in Bad Kleinen. Modesignerin Sarah Bürger präsentierte ihr neues Projekt House of All, eine Plattform für nachhaltige Mode. Etwa zwei Jahre erforschte sie grundlegende Fragen: Was ist eigentlich Mode? Warum brauchen wir sie? Ihre Antwort:  „Kleidung reflektiert unser Inneres, unser individuelles Sein und unsere Resonanzerfahrung mit anderen. Je schnelllebiger die Zeit, um so schneller wollen wir unser Outfit wechseln.“ Das habe allerdings schlechte Folgen für unsere Umwelt. Billig produzierte Kleidung werde 2-3 Mal getragen und danach weggeworfen. Bürgers Lösung: „Kleidung muss darf kein Luxus sein, sondern ein Kulturgut. Es muss nachhaltig und regional hergestellt werden.“ Da Baumwolle in unseren Regionen nicht wachse, sollten einheimische und nachwachsenden Rohstoffen verwendet werden, wie z. B. Hanf.
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Neben den Rohstoffen hat sich Bürger auch eingehend mit dem Herstellungsprozess beschäftigt. Kleidung soll kokreativ in sogenannten „Pods of Commons“ realisiert und produziert werden, einer Form des gemeinschaftsbasierten Wirtschaftens. Jede/r aus der Community trägt das bei, was er/sie am besten kann, sowohl von den Fähigkeiten als auch finanziell. Ideen, Entwürfe und Design-Leistungen sollen im persönlichen Austausch in regionalen Gruppen erstellt werden oder überregional über eine digitale Plattform. Über ein Modulsystem können so einzelne Bestandteile bzw. Designelemente eines Kleidungsstücks bereitgestellt und nach eigenen Vorstellungen und Wünschen kombiniert werden. Sind die Designs erstellt, werden die Kleidungsstücke in lokalen FabLabs und Schneidereien aus heimischen langlebigen Stoffen produziert. Die Herstellung erfolgt in Kleinserien in genau so hoher Stückzahl, wie es Abnehmer gibt: „production on demand“. Da für diese Art der Fertigung die Basiskosten sehr hoch sind (eine Jacke würde etwa 700 € kosten), wird das Kleidungsstück nach etwa 2 Jahren in den Kreislauf zurückgegeben, so dass sie ein anderer aus der Community nutzen und tragen kann. Da die Stoffe und die Herstellung qualitativ hochwertig sind, können die Kleidungsstücke wenn nötig repariert und mehrfach in Umlauf gebracht werden.

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Nachhaltiges Akustikdesign

Innenarchitektin Anke Schneider plant ihre Geschäftsidee im Austausch mit vielen Experten und im Rahmen eines Förderungsprogrammes für Gründer*innen vom INNOVATIONPORT Wismar, einer Einrichtung der Hochschule Wismar bzw. der Forschungs-GmbH Wismar. Der Innovationsport ist unter dem Dach von digitalesMV einer von insgesamt sechs digitalen Innovations- und Kreativräumen für Gründer, Kreativschaffende, Unternehmen und Wissenschaftler. Anke Schneider genießt hier vor allem die interdisziplinäre Vernetzung und fachliche Begleitung. Schon im Rahmen ihres Studiums in Wismar hat sich Anke Schneider auf das Thema Akustikdesign spezialisiert. Aktuell entwickelt sie maßgeschneiderte multifunktionale Akustikabsorber aus heimischen, nachhaltigen Rohstoffe. Erste vielversprechende Erfahrungen konnte sie bereits mit Ostseegras sammeln. Beim Ideenpitch erläuterte Schneider, dass ihr nicht nur klangliche Aspekte am Herzen liegen, sondern dass ihr Akustikdesign zugleich auch visuelle, sensorische und atmosphärische Ambientefragen berücksichtigt. Auch eine Onlineplattform mit Akustik-App ist mit Beratung von der Technischen Hochschule Lübeck geplant.  

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Wir drucken Dich

Die Grafikerinnen Manja Graaf und Lena präsentierten aktuelle Arbeiten und Ideen ihrer DRUCKKAMMER Greifswald. In ihrer Siebdruck-Werkstatt stellen sie mit großer Leidenschaft Infomaterial zur Politik- und Umweltbildung her und geben ihr Wissen auch weiter, u. a. mit einem Druck-Tutorial. Darin erklären sie drei verschiedene Techniken, die man für das Erstellen von Aufklebern, Shirts, Plakate etc. nutzen kann: Siebdruck, Stempeln,  Tetrapackdruck. Gerade wird die Druckkammer neu gestaltet und soll am 15.10.2020 mit verschiedenen Aktionen der Öffentlichkeit vorgestellt werden. 

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Erzählte Geschichten aus MV

Journalistin Manuela Heberer ist seit 2011 als freiberufliche Journalistin und Medienmacherin in MV aktiv: „Meine Leidenschaft ist es, im Land unterwegs zu sein, dabei die vielen, zum Teil noch verborgenen Geschichten aufzuspüren und diese für euch erlebbar zu machen.“ Gemeinsam mit Grafikdesignerin Antje Siggelkow trägt sie ihre Begegnungen in  dem frisch im Frühjahr gestarteten Online-Magazin Vielsehn in die Öffentlichkeit. Heberer sprach über die vielfältigen Aspekte von Grafik, Web- und Content-Design und stellte auch ihr neues akustische Projekt vor, das gemeinsam mit Judith Kenk entsteht: Erste Generation über die Menschen, die in den 1980er Jahren in MV geboren sind.

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Freies Theater und Architektur-Sanierung

Die Welt des freien Theaters präsentierten Theaterregisseur und Maskenbauer Lars Maué sowie Kostüm- und Maskenbildnerin Johanna Kanka-Maué. Sie stellten u. a. ihr generationsübergreifendes Projekt Freiheit und Glaube vor: vier Inszenierungen mit 40 Masken, fünf Großfiguren, 90 Kostüme und über 350 Aktiven und Akteuren: Das große Fest- und Theaterwochenende im September 2017 statt und erinnerte an das 500. Jubiläum der Reformation. Beide engagieren sich u. a. auch im Verein „ Kulturmühle Wismar e.V.“ und die Erhaltung der Bausubstanz der historischen Mühle. Für historische Sanierungsprojekte setzt sich auch Architektin Sophie Wagner aus Dassow  ein und berichtete über Planungs- und Beteiligungsprozesse gemeinsam mit Nutzern.

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Ortserkundung mit Egon Flemming und Burkhard Steinhagen

Tief hinab und hoch hinaus: Fachkundig geführt von Eigentümer Egon Flemming konnten die Teilnehmer des KreativLabs in corona-sicherem Abstand das weitläufige Gelände und die historischen Gebäude des Mühlenquartiers Bad Kleinen erkunden. Unterstützt wurde er von Burkhard Steinhagen, der sich als junger Mann mit Ferienjobs in der Mühle sein erstes Moped verdiente Er zeigte die noch verbliebenen Artefakte: Mehlrutschen, Mehlzellen, Beutelkammern und Trichter und erzählte lebendig von der Industriegeschichte. Im Verwaltungs- und Verkaufsbüro konnten die Besucher die wechselvolle Geschichte anhand historischer Fotos nachvollziehen und mit einem Imagefilm Mühlenquartier Bad Kleinen eine Zeitreise in die Zukunft des Ortes unternehmen.

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Lokaler Netzwerkaufbau

Wie sich Wohnen, Arbeiten, Erholen in Bad Kleinen mit urbaner Lebensqualität in Reichweite anfühlt, konnte an diesem Tag auf vielseitige Weise erprobt werden. Das KreativLab war einmal mehr Impulsgeber für den lokalen Netzwerkaufbau. Dass die Region die Kreativität wirkungsvoll beflügelt, ist übrigens bereits bewiesen: Nur wenige Kilometer westlich von Bad Kleinen, im Ortsteil Wendisch Rambow, ist Till Lindemann aufgewachsen, der Sänger und Textdichter der Band Rammstein.

Das KreativLab in Bad Kleinen wird gefördert von der Bundeszentrale für politische Bildung im Programm Miteinander reden.

  © Miteinander reden

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