
Fablabs und Makerspaces: Digitalisierung und Industrie 4.0
Kaum eine Branche ist von den Auswirkungen der Digitalisierung so stark betroffen wie die Kultur- und Kreativbranche. Sie ist Innovationsmotor in der vernetzten Welt. Von ihren Erfahrungen können auch andere Branchen der klassischen Wirtschaft lernen und profitieren.
Literatur, Musik und Filme sind nicht nur über Bücher, CDs und DVDs verfügbar, sondern auch im Internet. Neue Erlösmodelle wurden gefunden und entferntere Märkte erschlossen. Über Online-Portale lassen sich Kundenkreise auch grenzüberschreitend erreichen, durch Algorithmen und Werbung noch gezielter ansprechen.
Erkenntnisse aus der Kultur- und Kreativwirtschaft nutzen
Doch Fakt ist: Die Nutzungslizenzen der Online-Portale bieten für die meisten kreativen Urheber noch keine Lebensgrundlage. Bestehende Verfahren müssen stetig optimiert und hinterfragt werden: Welchen Wert haben kreative Inhalte und geistige schöpferische Leistungen? Erkenntnisse aus der Kultur- und Kreativwirtschaft können von der klassischen Industrie genutzt werden. „Industrie 4.0“ ist die vierte industrielle Revolution nach Mechanisierung, Massenproduktion und Automatisierung. Sie verändert die Rolle des Menschen in der Arbeitswelt radikal. Maschinen übernehmen monotone Prozesse, sind miteinander vernetzt und steuern sich selbst. Längst rollen Saug-, Wisch- und Mähroboter durch unsere Wohnungen und Gärten, wenn auch noch eher nach dem Zufallsprinzip. Experten schätzen, dass in den nächsten 4 Jahren weltweit etwa 30 Millionen Hilfsroboter verkauft werden.
© Antje Hinz, MassivKreativ.de
Roboter als Attraktion
Die Münchner Firma Magazino, ein Start-up der TU München, hat Greifarme entwickelt, die auf Knopfdruck Medikamentenpackungen ein- und aussortieren kann. Die Logistikbranche verwendet inzwischen eine Vielzahl an „Pick-and-Place Systemen“. Andere setzen Roboter als verkaufsfördernde Attraktion ein: In den Berliner und Münchner Konzeptstores von „Solebox“ rangiert ein weiß glänzender Maschinenmensch vor den Augen der Kunden den gewünschten Trendschuh aus dem Hochlager direkt zum Anprobieren in den Verkaufsraum.
© Antje Hinz, MassivKreativ.de
Spielerische Anreize zur Motivation nutzen
Dennoch wird der Mensch nicht in allen Bereichen zu ersetzen sein. Die durchdigitalisierte Filmbranche etwa setzt nach wie vor auf das Handwerk von Geräuschemachern. Bis ein Sounddesigner die richtige Tonkonserve am Computer gefunden hat, erzeugt der footstep-artist die passenden Schritte oder das Spiegelei in der Pfanne geschickt per Hand in einem Bruchteil der Zeit. So wie der Geräuschemacher Carsten Richter. Der Mensch wird auch in Zukunft seine Nischen finden, vorausgesetzt er bildet sich ständig weiter. Lebenslanges Lernen wird Herausforderung und Pflicht. In unserer Wissensgesellschaft wird jeder ständig dazulernen müssen – bis ins hohe Alter. Hier sind Motivation und Anreizsysteme gefragt. Die Kultur- und Kreativwirtschaft, vor allem die Gamesbranche, vernetzt sich schon heute mit Bildungsinstitutionen, um Lernende mit kreativen und spielerischen Elementen zu unterstützen.
© Antje Hinz, MassivKreativ.de
Beispiel: Content-Portale
Wie in der Kultur- und Kreativwirtschaft nutzt auch die Industrie offene Online-Plattformen mit Konstruktionsplänen, virtuellen 3D-Modellen, Patenten. Darauf bauen wiederum neue Wertschöpfungsketten auf, die auf Erfindergeist und Individualität basieren. Die Gamesindustrie wäre heute undenkbar ohne 3D-Modelle. So wie das Onlinelexikon Wikipedia stetig von der Wissensgemeinschaft erweitert wird und gemeinsam ein regional adaptierbares WikiHouse entwickelt hat, arbeiten auch auf der Plattform „OpenStructures“ Designer, Konstrukteure und Architekten kollaborativ an neuen Entwürfen.
Die Organisation Open Source Ecology bietet auf ihrer modularen Plattform Baupläne von 50 verschiedenen industriellen Maschinen, die sich im Eigenbau zu einem Bruchteil der üblichen Kosten herstellen lassen sollen.
© Antje Hinz, MassivKreativ.de
Beispiel: Maker Economy für neue Wertschöpfungsketten
Die Produktion der Zukunft wird sich immer stärker am Kundenbedarf ausrichten. Neben Big Data-Erkenntnissen werden kommunikative und kreative Kompetenzen weiterhin gebraucht, um die Wüsche der Nutzer passgenau zu erfüllen. Gefragt sind Produkte in Einzel- und Kleinserien mit hoher Typen- und Variantenvielfalt. Jeder kann zum Produzenten werden und Dinge für den täglichen Gebrauch selbst herstellen – mit Datenbanken im Internet, 3D-Drucker und Laser-Cutter. Die neue „Maker Economy“ verbindet Do-It-Yourself-Ideen mit digitaler Technik. Große Unternehmen können Prototypen und Kleinserien bei kreativen Einzelunternehmern um die Ecke produzieren lassen und gefragte Produkte schneller am Markt anbieten. Nicht abwegig, dass ein 3-D-Drucker erst im Transportlaster auf der Fahrt zum Kunden das gewünschte Teil in Form bringt. Zahnärzte nutzen die Technik für maßgeschneiderte Implantate schon länger. Die Autoindustrie zieht nach: Die Hamburger Firma Meyle fertigt z. B. seltene Ersatzteile für Oldtimer im 3D Druck.
© Antje Hinz, MassivKreativ.de
Idee des Teilens: Techshops, FabLabs, Makerspaces
Die Idee des Fabrication Laboratory stammt aus den USA vom Massachusetts Institute of Technology, dem Center for Bits and Atoms. FabLabs sollten ursprünglich Menschen aus sozial schwachen Regionen eine kostenlose technische Weiterbildung bieten sowie die Möglichkeit zum Realisieren eigener Ideen. Dazu stehen ihnen nicht-kommerzielle Werkstätten mit computergesteuerten Maschinen zur Verfügung. „Techshops“ und „Fablabs“ sind auch für Start-ups und Kleinunternehmer attraktiv, weil sie meist nur über begrenztes Budget verfügen. In Deutschlands neuen Hightech-Werkstätten treffen Einzelunternehmer, Erfinder, Handwerker und Internet-Spezialisten aufeinander, feilen an Prototypen und am Produktdesign. Sie entrichten sie einen Monatsbeitrag wie in einem Verein und können dafür die vorhandenen Geräte nutzen – so oft und so lange sie wollen: 3D-Drucker, Laser, Vinyl-Cutter, Metallfräsen, Stahlpressen, Bügelpressen, Nähmaschinen, Lötkolben und Computer. Neben den Geräten werden auch Wissen und Erfahrungen geteilt.
© Antje Hinz, MassivKreativ.de
Kreativität aufspüren und trainieren
Je kürzer die Lebenszeiten von Produkten sind, umso kontinuierlicher muss der Produktionsprozess verbessert und Fehler reflektiert werden. Dafür ist das Engagement der Mitarbeiter gefragt, ebenso Eigenverantwortung und Kreativität. Diese Kompetenzen lassen sich im Rahmen von Workshops und künstlerisch-kreativen Aktionen trainieren. Lassen sie sich dabei von Akteuren aus der Kultur- und Kreativbranche unterstützen!
© Antje Hinz, MassivKreativ.de
Inspirationstipps:
- Film über Roboter in den Konzeptstores von Solebox
- Film-Interview und Präsentation mit dem Geräuschemacher Carsten Richter
- Community-Plattform für den Bau eines Wiki-Hauses, das sich an regionale Gegebenheiten anpassen lässt
- FabLabs in Deutschland – Innovative, nachhaltige Lösungsansätze für Wirtschaft und Gesellschaft
- Online-Plattform für kollaborative Konstruktionsmodelle: http://openstructures.net/
- Miniwerkzeuge aus dem 3D-Drucker: http://www.3ders.org/articles/20150804-kiwi-man-lance-abernethy-3d-prints-the-world-smallest-functional-circular-saw.html
- modulare, kostengünstige, leistungsstarke Plattform der Organisation Open Source Ecology mit Bauplänen für den Eigenbau von 50 verschiedenen industriellen Maschinen
- Center for Bits and Atoms am Massachusetts Institute of Technology
- Studie des Fraunhofer-Instituts IAO: Produktionsarbeit der Zukunft – Industrie 4.0
2 Antworten zu “Fablabs und Makerspaces: Digitalisierung und Industrie 4.0”
spannend.
Früher haben sich Große Unternehmen eine Abteilung mit Geisteswissenschaftlern gegönnt, einfach so als Inspiration. Vielleicht kommen wir ja wieder dahin!
Richtig! Geisteswissenschaftler sind insofern wichtig, weil sie gelernt haben, Informationen nicht nur zu recherchieren, sondern auch zu bewerten und in größere Zusammenhänge einzuordnen, was angesichts der Flut an (unseriösen) Informationen im Netz extrem wichtig ist. A.H.