Fehlerkultur: So helfen Kreative
Fehler passieren jedem. Aber Künstler hinterfragen sie auf besondere Art. Deswegen sollten sich Unternehmer mit ihnen zusammentun. Das Gefühl, perfekt sein zu müssen, lähmt ganze Firmenetagen. Es soll Unternehmen geben, in denen Mitarbeiter aus Angst vor Fehlern und Jobverlust gar keine Entscheidungen mehr treffen. Unsere Welt ist so komplex geworden, dass sich Fehler kaum vermeiden lassen. Eine Null-Fehler-Toleranz ist weltfremd. Mit Vermeidungsangst wäre der Astronaut Neil Armstrong sicher nie auf dem Mond gelandet. Der Dichter Friedrich Dürenmatt bemerkte in einem Vortrag: „Vielleicht ist das Scheitern des Versuchs Einsteins, eine allgemeine Feldtheorie aufzustellen, für die Physik sein wichtigster Beitrag.“
Resilienz: nach Fehler wieder aufstehen
Irren ist menschlich. Trotzdem macht keiner gerne Fehler. Auch, wer sein Bestes gibt, ist vor Fehlern nicht gefeit. Entscheidend ist die Offenheit und Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen, sich nicht entmutigen zu lassen. Jeder kennt Höhen und Tiefen im beruflichen Alltag. Wer Niederlagen von vornherein einkalkuliert, den wird ein Rückschlag nicht völlig aus der Bahn werfen. Psychische Widerstandsfähigkeit kann trainiert werden und wird immer wichtiger, um Krisen erfolgreich zu meistern.
Neugierde als Triebkraft
Krampfhaftes Streben nach Perfektion macht betriebsblind. Manchmal hilft es sogar, nicht alles zu wissen, wie in interdisziplinären Projekten. Nachfragen führen zu ungewöhnlichen Erklärungen, anderen und neuen Lösungsansätzen. Die Spannung zwischen Nichtkönnen und Können kann zur produktiven Triebkraft werden. Wer bereit ist, sich mit Leidenschaft in fremde und neue Szenarien hineinzudenken und sich mit anderen Experten auszutauschen, kann dazulernen. So hat es auch das Hamburger Startup „PatientZero Games“ um Arne Klingenberg, Fabian Jäger und Georg Treml gemacht. Das Dreierteam mit zwei Informatikern bzw. Games-Programmierer und einem Grafikerdesigner entwickelt derzeit das Serious Game EMERGE. Das PC-Spiel simuliert typische Szenarien in der Notaufnahme eines Krankenhauses unter realistischen Bedingungen.
„Am Anfang war das medizinische Metier noch ziemlich fremd für uns“, erklärt sein Kollege Fabian Jäger. „Dass wir fachliche Unterstützung von Medizinern des Universitätskrankenhauses Eppendorf und der Universitätsmedizin Göttingen erhalten, ist ideal. Man lernt viel voneinander.“ Berufsanfänger können mit der Software die reibungslose Aufnahme eines Patienten üben, ihm Fragen zu seinem Befinden zu stellen, die Akten sorgfältig auszufüllen, einen Überblick über Medikamente, Röntgenbilder zu erhalten sowie Kenntnisse über frühere Krankheiten und Untersuchungen zu erlangen. „Die ersten Reaktionen der angehende Mediziner, Studenten und Assistenz-Ärzte sind durchgehend positiv, ebenso auf Messen, berichtet Fabian Jäger. EMERGE wurde u. a. auf der Lerntec, der CeBIT und der Fachmesse für Medizintechnik „conhIT – Connecting Healthcare IT vorgestellt.
Mangel im Gespräch erkannt
Die Idee zu EMERGE stammt unter anderem von dem Göttinger Medizindidaktiker und Kardiologen Prof. Dr. Tobias Raupach. In Gesprächen mit dem jungen Team um Klingenberg beklagte Raupach, dass die meisten Medizinstudiengänge keine Lerneinheiten zum Zeit- und Stressmanagement vorsehen. Das Startup „PatientZero Games“ nahm diese wichtige Information sofort auf, um vor allem medizinischen Berufsanfängern zu helfen, die häufig doppelt gefordert sind: Sie haben wenig trainierte fachliche Fähigkeiten und müssen bei ihren Handlungen ständig Prioritäten setzen.
Im Rahmen seiner Masterarbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg entwarf Klingenberg die ersten Szenarien und realisierte dann gemeinsam mit dem Grafikdesigner Georg Treml und dem Informatiker Fabian Jäger einen Prototyp. Seit gut anderthalb Jahren wird er weiterentwickelt. In Göttingen und Hamburg wird EMERGE bereits bei den Projektpartnern eingesetzt. Jäger hofft, „dass sich weitere Krankenhäuser in Deutschland beteiligen, damit immer neue Szenarien und Krankheitsbilder hinzukommen.“
Künstler hinterfragen Fehler
Gewohnheiten über Bord werfen, Modelle und Prozesse hinterfragen: Hier setzen auch die kreativen Aktionen im Rahmen Künstlerischer Interventionen an. Künstler gehen für eine befristete Zeit in Unternehmen oder Organisationen und bearbeiten eine konkrete unternehmerische Fragestellung. Lena Mäusezahl, Leiterin der Initiative „Unternehmen! KulturWirtschaft“ am Nordkolleg Rendsburg begleitet die Künstlerischen Interventionen als Vermittlerin zwischen Wirtschaft und Kreativen. Gerade im Gesundheitsbereich sieht sie sinnvolle Kooperationen: „Viele Fehler passieren in Stresssituationen und im Kommunikationsprozess. Künstler können dem Krankenhauspersonal im Rahmen einer Künstlerischen Intervention gefährliche Routinen vor Augen führen, Perspektivwechsel anregen und einen Zwischenraum für Kommunikation bieten. Das kann zu mehr Aufmerksamkeit und Verständnis führen, z. B. für die Einhaltung der Hygienevorschriften.“
Perspektivwechsel im Krankenbett
Wie fühlt sich ein Patient mit akuten Schmerzen, wenn er ins Krankenhaus eingeliefert wird? Für derartige Überlegungen bleibt dem Personal kaum Zeit angesichts des enormen Drucks, in Windeseile lebenswichtige Entscheidungen treffen zu müssen. Dabei sind Emotionen für die Genesung und das Wohlbefinden der Patienten enorm wichtig. Das Herzzentrum des Klinikums Oldenburg hat sich von einem Künstlerteam bei der Gestaltung neuer Räumlichkeiten unterstützen lassen, begleitet von der Kreativ-Initiative 3×3 des Künstlers Peer Holthuizen. Das interdisziplinäre Kreativteam animierte die Mitarbeiter zum Perspektivwechsel und legte sie in ein fahrbares Krankenbett. Was sehen Patienten, wenn sie liegend durch die Gänge geschoben werden? Was fühlen sie, wenn grelles Licht, kahle Wände und schrille Geräusche auf sie einwirken? Die Künstler entwickelten kein oberflächliches ornamentales Design, sondern brachten funktionale Anforderungen mit dem Wohlbefinden der Patienten in Einklang. Ein integrierter Wandelgang mit warmen Lichteffekten entstand, interaktive Informationen zur Orientierung des Patienten und die Idee für einen persönlichen Ansprechpartner im Haus, der den Klinikalltag weniger anonym machen soll.
Fazit
Mehr Mut zum Risiko, mehr Offenheit für Kritik, mehr Ehrlichkeit bei Fehlern. Manchmal hilft ein fachfremder Blick von außen, um nicht betriebsblind zu werden und Routinefehlern unnötig ausgeliefert zu sein. Nicht alles zu wissen, kann ein Vorteil sein. Es braucht Mut, gewohnte Abläufe zu hinterfragen, mit Leidenschaft und Offenheit nach neue Lösungsansätzen zu suchen. Akteure aus der Kultur- und Kreativbranche bringen diese Eigenschaften mit. Lassen Sie sich von ihnen über die Schulter schauen und kreativ beraten!
Inspirationstipps:
• Simulationsspiel EMERGE: Notaufnahme im Krankenhaus und Startup
• Animationsvideo über EMERGE
• Innovationsprojekt im Klinikum Oldenburg
• Initiative »Unternehmen! KulturWirtschaft« am Nordkolleg Rendsburg
• Filminterview mit Lena Mäusezahl, die zwischen Unternehmern und Künstlern vermittelt
• Ralf Caspary (Hg.): Nur wer Fehler macht, kommt weiter: Wege zu einer neuen Lernkultur. Herder Verlag 2008, darin: Fehlerkultur als Unternehmensressource, S. 135 – 153