© WFB BRENNEREI next generation lab
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Medienfassaden und Space Cocktails: Innovative Impulse für die Wirtschaft

© Antje Hinz, Ausstellung der WFB_BRENNEREI next generation lab am 24.9.2015

Der Innovationsdruck für Unternehmen steigt. Die Produktzyklen werden immer kürzer, der Markt verlangt ständig nach neuen Fabrikaten und Dienstleistungen. Innovationen lassen sich selten aus der täglichen Arbeitsroutine heraus generieren, sagt Andrea Kuhfuß von BRENNEREI next generation lab, einem interdisziplinären Innovationsprojekt der Wirtschaftsförderung Bremen in Zusammenarbeit mit Absolventen kreativer und künstlerischer Studiengänge. Ich habe mit ihr und mit Andreas Heyer, dem Vorsitzenden Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Bremen, gesprochen.

Marktausbau durch kreative Produkterweiterung

Wovon viele Unternehmen träumen, ist der ONLYGLASS GmbH aus dem niedersächsischen Verden gelungen. Das Familienunternehmen hat sich auf Glasveredelung spezialisiert. Mit Blick auf den internationalen Markt suchte Geschäftsführer Reinhard Cordes vor einigen Jahren gezielt nach einem Alleinstellungsmerkmal. Bei einer Reise nach New York fielen ihm auf dem Time Square die riesigen Reklametafeln auf, die die historischen Fassaden verdecken und verunstalten. Eine Alternative aus Glas wäre viel besser, dachte Cordes damals, zumal Glasfassaden im Städtebau topaktuell sind. Seine Idee lässt ihn nicht mehr los. Über vier Jahre entwickelt ONLYGLASS gemeinsam mit Partnern aus Hochschulen in Braunschweig, Hamburg und Aachen/Jülich eine neue Medienfassade mit LED-Technik. Senkrecht angeordnete Leuchtdioden werden in den Zwischenraum von Isolierglasscheiben integriert. Der große Vorteil: Die Medienfassaden sind transparent, der Blick aus dem Fenster wird nicht getrübt. Das Zusammenspiel der bunten LEDs reguliert ein Computer.

Onlyglass-Fassade_Klubhaus St. Pauli
Onlyglass-Fassade_Kind_Messe
Onlyglass-Fassade_Mitarbeiter
Onlyglass-Fassade_Klubhaus St. Pauli-gold

© Christian O. Bruch: Opening Klubhaus / fact+film: Mitarbeiter / Christoph Sodemann: Kind

Think Tank für Unternehmen

ONLYGLASS forscht nicht nur nach neuen Technologien. In einem Think Tank der Wirtschaftsförderung Bremen finden die Glasexperten kreative Vordenker. Im Rahmen des Stipendiatenprogramms „BRENNEREI next generation lab“ tüfteln acht sorgsam von einer Jury ausgewählte Absolventen künstlerisch-kreativer Studiengänge an einer konkreten unternehmerischen Fragestellung. Sechs Monate dauert eine Projektphase. Für ONLYGLASS ermitteln die jungen Kreativen alternative Einsatzmöglichkeiten ihrer Produkte: Welcher erweiterte Markt lässt sich mit den neuen Medienfassaden erschließen? Umgangssprache unter den Stipendiaten englisch, sie stammen aus der ganzen Welt. Die meisten haben Kommunikations- und Design-Studiengänge absolviert und stellen sich hoch motiviert der doppelten Herausforderung: einerseits in einem interdisziplinären Umfeld zu arbeiten, andererseits reale Szenarien aus der Wirtschaft zu fokussieren. Unter Anleitung von Mentoren und Experten und im Dialog mit den Auftraggebern von ONLYGLASS erarbeiten die jungen Absolventen innovative Lösungsvorschläge.

Die Wurzeln

Vorgänger des interdisziplinären Stipendiatenprogramms ist das Designlabor Bremerhaven, angetreten im Jahr 2000, um Nachwuchskräfte aus designorientierten Disziplinen zu professionalisieren und gleichzeitig innovative Impulse in die Wirtschaft zu tragen. Seit 2012 wird dieses Vorhaben nun von „BRENNEREI next generation lab“ realisiert, aktuell arbeiten die Stipendiaten am sechsten und siebten Kooperationsprojekt. Von der Initiative der Wirtschaftsförderung Bremen profitieren alle Partner. Unternehmen zahlen an den Think Tank einmalig 12.500 € und erhalten für wenig Geld innovative Impulse für neue unternehmerische Ansätze. An die Stipendiaten fließt ein monatliches Honorar von 1.580 € brutto angelehnt an den Mindestlohn. Der eigentliche Gewinn für die jungen Kreativen liegt im Zugewinn an Erkenntnissen. Sie sammeln Erfahrungen im Team, im Prozess- und Projektmanagement, in der Konzeptentwicklung und der Kommunikation.

© WFB_BRENNEREI next generation lab

Praxisnahes, branchenübergreifendes Arbeiten

Andreas Heyer, Vorsitzender Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Bremen erklärt den großen Erfolg des Programms in dessen besonderer Konzeption: „Normalerweise holen sich die Unternehmen ihre Beratung und Begleitung von außen – also immer nach einem bestimmten Muster und aus einer typischen Branche. Im Rahmen unseres Stipendiatenprogramms stellen wir bewusst interdisziplinäre Teams aus branchenfernen Fachrichtungen zusammen. Unsere Absolventen eröffnen Sichtweisen und Blickwinkel, die in der Unternehmenslandschaft bisher gar nicht vorhanden waren. Ein Absolvent aus der Kulturwirtschaft sieht die IT-Branche aus einem ganz anderen Blickwinkel als eine IT-spezifische Beratungsagentur. Das ist der große Mehrwert, dass hier andere Denkmuster zum Tragen kommen.“

Nachwuchsgewinnung

Die unkonventionellen Ideen der jungen Kreativen haben viele Unternehmer überrascht. Vor allem deren unbändige Energie empfinden sie als sehr inspirierend und nehmen die besondere Atmosphäre gern in die Unternehmen mit. Hinzu kommt ein weiterer Mehrwert, betont Heyer: „In einem praxisnahen Umfeld treten die Firmen sehr früh in den Dialog mit jungen Absolventen ein und können sich langfristig geeigneten Nachwuchs sichern. Für die jungen Absolventen ist das Programm ein Anreiz, ihre berufliche Zukunft in Bremen zu planen.“

Kreative Methoden und Vermittlung

Forschen, Analysieren, Experimentieren, Entwickeln, Präsentieren. Etwa 60 Stunden innerhalb des Programms sind für den fachlichen Input von Mentoren vorgesehen. „Wir diskutieren sehr intensiv über mögliche Ideen, wir visualisieren sie in Form von Grafiken oder 3D-Modellen und präsentieren sie unseren Wirtschaftspartnern“, erklärt die Projektleiterin und Innovationsmanagerin Andrea Kuhfuß die Arbeitsweise im Think Tank. Der halbjährige Prozess läuft ergebnisoffen ab. Kreativität braucht Freiraum. Manchmal stellt sich heraus, dass die anfangs formulierte Fragestellung nicht zum gewünschten Ziel führt. Um eine praktikable Lösung zu finden, muss dann ein anderer Weg eingeschlagen werden. Kuhfuß sorgt mit Kommunikationsstärke und sozialer Kompetenz für die notwendige Offenheit und das Vertrauen zwischen Wirtschaft und Stipendiaten. Eine überaus wichtige Funktion!

© WFB_BRENNEREI next generation lab

Kundenbefragungen auf Augenhöhe

Neben Brainstorming und DesignThinking gehören klassische Internet-Recherchen und Befragungen zum gängigen Handwerk. In diesem Jahr kooperiert „BRENNEREI next generation lab“ mit dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum. Geklärt werden soll die Frage, welchen Nutzen die Raumfahrt für den Bürger hat: „Die Luft- und Raumfahrt ist eine sehr wissenschaftlich-theoretische Branche“, erklärt Andrea Kuhfuß. „Dafür muss der Bürger erst mal emotionalisiert werden. Das geht am besten, indem man das Gespräch mit ihm sucht und ihn bei den Erfahrungen abholt, die er aus dem Alltag kennt.“ Handstaubsauger, Infrarot-Fieberthermometer, kratzfeste Brillengläser, Gel-Einlagen für Schuhe, schnurlose batteriebetriebene Werkzeuge, Wasserfilter – all das ist ursprünglich für Astronauten erfunden worden. Um Barrieren zu überwinden und Antworten zu erhalten, kreierten die Stipendiaten einen Begegnungsort, eine originelle Cosmo-Lounge. Jedem auskunftsfreudigem Bürger wird dort ein Space-Cocktail spendiert. Die Ergebnisse der Befragungen sollen in eine Publikation münden.

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Markterweiterung durch Perspektivwechsel

Auch für ONLYGLASS entwickelten die Stipendiaten eine Broschüre als Werbemittel für potentielle Kunden. Darin wird exemplarisch dargestellt, dass Medienfassaden nicht nur als Reklamefläche genutzt werden können, sondern darüber hinaus als innovative Fassadenbeleuchtung und urbanes Kommunikationsmittel – von Architekten, Stadtplanern, Fotografen, Filmemachern und Künstlern. „Die Stipendiaten haben bei uns im Unternehmen einen Perspektivwechsel angeregt – im Hinblick auf die Vermarktungsvielfalt unserer Medienfassaden“, schwärmt ONLYGLASS-Product-Manager Ralf Krüßel über das interdisziplinäre Arbeiten. Andrea Kuhfuß ergänzt: „Innovation braucht Kollaboration, Professionalisierung sowie interdisziplinäres Denken und Handeln. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, können sehr spannende Dinge entstehen.“ ONLYGLASS lässt gerade in das sechsstöckige Klubhaus St. Pauli in Hamburg seine neue Medienfassade einbauen. Zum Reeperbahnfestival Ende September 2015 soll sie mit Videoinstallationen bespielt werden.

Kommunikation und soziale Innovationen

Neben technologischen Fragen müssen Unternehmen heute auch soziale Herausforderungen meistern, etwa in der Personalentwicklung, im Gesundheits- und Wissensmanagement, in der Organisation und Kommunikation. Wer beim Kundenservice und Verbraucherschutz glänzen will, muss die Klaviatur des verbalen Austauschs beherrschen. Um im Falle eines Produktrückrufs die Kommunikation zwischen Unternehmen, Verbrauchern und Behörden zu verbessern, hat „BRENNEREI next generation lab“ in Kooperation mit der Software-Unternehmen „consider it GmbH“ den Prototyp für eine übergreifende Internet-Plattform entwickelt. Als praktische Gebrauchsanleitung produzierten die Stipendiaten einen Erklärtrickfilm.

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Logistik, IT, Digitalisierung, Industrie 4.0 *

Auch das aktuelle Stipendiatenprogramm fokussiert das Thema Kommunikation: In Zusammenarbeit mit „Bremen digitalmedia“ wird die Frage geklärt, wie sich der Kontakt zwischen IT und Logistik intensivieren lässt. Die jungen Kreativen brüten derzeit an einem innovativen Veranstaltungsformat, das Akteure aus der Logistik, IT, Wissenschaft und Gestaltung in einen fruchtbaren Austausch bringt. Die Ergebnisse der Think Tanks werden jeweils in der BRENNEREI präsentiert. Im kreativen Milieu der ehemaligen “Alten Schnapsfabrik“ in Bremen lädt die Wirtschaftsförderung Bremen regelmäßig zu Innovationsforen und Innovationswerkstätten ein. Dabei kommen zwischen sechs und zehn Unternehmensvertreter aus verschiedenen, sich befruchtenden Branchen in kleinen Workshop-Formaten zusammen – oft zu Clusterthemen, wie Luft- und Raumfahrt, Maritime Wirtschaft und Logistik, Windenergie. Es geht um Wissens- und Technologietransfer mit Blick auf die Megatrends demografischer Wandel, Globalisierung, Digitalisierung. Andreas Heyer erläutert diesen Ansatz am Beispiel von „Industrie 4.0“: „Bei diesem Thema reichen klassische Gedankenmuster nicht mehr aus. Da muss man einfach interdisziplinär denken und integrativ schauen, welche Akteure, welche Fähigkeiten und Branchen hier kooperieren und sich gegenseitig befruchten und vernetzen können.“
Die eher traditionelle Branche Logistik, so Heyer, tausche sich zunehmend über das Thema Social Media aus, um in der Öffentlichkeitsarbeit und im Beziehungsmanagement gegenüber Kunden besser aufgestellt zu sein. Unter professioneller und interdisziplinärer Anleitung entwickeln die Unternehmensvertreter sehr intensiv und praxisnah arbeitsfähige Ideen und Modelle, die tatsächlich im Arbeitsalltag umgesetzt werden. Im Idealfall bilden die Teilnehmer Netzwerke, aus denen heraus gemeinsam Projekte akquiriert und realisiert werden. *

Auszeichnung und Zukunftspläne

BRENNEREI next generation lab ist ein Labor für interdisziplinäre Entwicklungsprozesse. Das europaweit einmalige Projekt wurde 2014 in der Kategorie „Investitionen in Unternehmenskompetenzen“ mit dem Europäischen Unternehmensförderpreis ausgezeichnet. Ausgelobt in den 28 Mitgliedstaaten der EU sowie in Island, Norwegen, Serbien und der Türkei, würdigt der Award Projekte, die sich um Unternehmergeist und Unternehmertum verdient gemacht haben. Seit 2006 beteiligten sich europaweit mehr als 2.000 Projekte und Initiativen.
Andreas Heyer und Andrea Kuhfuß möchten das Stipendiatenprogramm gern verstetigen, d.h. unabhängig von einer Förderung aufstellen. Das setzt bei den Unternehmen das Bewusstsein voraus, dass sie den (Mehr-)Wert von interdisziplinären Teams anerkennen und vergleichbare Preise dafür zahlen wie für eine Personal- oder Unternehmensberatung. Heyer ist optimistisch und setzt auf Empfehlungsmarketing: „Je deutlicher wir die Erfolge am Markt zeigen, um so mehr Unternehmen lassen sich zum Mitmachen motivieren. Reden über Beispiele und Erfolge – das ist der richtige Weg!“

Inspirationstipps:

BRENNEREI next generation lab ist ein Stipendiatenprogramm der Wirtschaftsförderung Bremen GmbH, in dem kreative Nachwuchskräfte unter Anleitung von Experten und im Dialog mit ihren Auftraggebern aus der Wirtschaft oder öffentlichen Einrichtungen Grundlagen für neue unternehmerische Ansätze erarbeiten.

* Donnerstag, 17. September 2015, 10 – 18 Uhr
TRANSPORTALE – eintägiger interaktiver Workshop über die digitale Zukunft der Logistik.
Kooperation mit Bremen digitalmedia, Future Lab IT und Logistik; Interessenten aus den Bereichen IT, Logistik, Wissenschaft und Gestaltung entwickeln nach zwei Impulsvorträgen in interaktiven Workshops neue Geschäftsideen auf der Grundlage von Business-, Technologie- und sozialen Trends. Impulsvorträge von Prof. Rolf Drechsler (DFKI, Bremen) und Stephan Hürholz (The Exponentials, London).
Anmeldungen bis zum 9. September unter info@brennerei-lab.de
Ort: Weser Tower, 21. OG, Am Weser-Terminal 1, 28217 Bremen

Do, 24. September 2015, 18 Uhr
ABSCHLUSSPRÄSENTATION der interdisziplinären Stipendiatenprojekte 2015
– Bremen digitalmedia: Wie kann der Kontakt zwischen IT und Logistik intensiviert werden?
– Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt: Welchen Nutzen hat die Raumfahrt für den Bürger?
Ort: Alte Schnapsfabrik (Karton und BRENNEREI), Osterstrasse 28 – 29, 28199 Bremen

WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH

Klub Dialog e.V.: Veranstaltungsforum der Wirtschaftsförderung Bremen an wechselnden Orten, fünf kreative Bühnengäste präsentieren in jeweils sieben Minuten ihre Ideen, Projekte und Unternehmen

Film über das Arbeiten in interdisziplinären kreativen Teams am Beispiel der ONLYGLASS GmbH

Informationsfilm über das Stipendiatenprogramm der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH

Beispielprojekte von BRENNEREI next generation lab mit Projektpartnern HEC Software, Bürgerpark Bremen und ONLYGLASS

Informationsfilm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie über Best Practice aus der Kultur- und Kreativwirtschaft am Beispiel von BRENNEREI next generation lab

Erklärfilm zum branchenübergreifendem Internetportal über Produktrückrufe „Pinco and the Product Recalls“

Förderpreis für innovative und interdisziplinäre Projekte zwischen Wirtschaft und Kreativbranchen

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