
Mehr Demokratie wagen in Albersdorf
„Wer wagt, gewinnt“ – heißt es. Doch was gewinnen junge Menschen, wenn sie Demokratie in ihr Leben lassen? Genau das wollten Jugendliche im Alter von 14-19 Jahren wissen, die sich im Projekt „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ in Albersdorf in Schleswig-Holstein engagiert haben. Inwiefern sie es auch aktiv mitgestalten konnten, haben mir Maxie, Norwiga, Tyson, Jannes, Taylor, Janik, Mirco und Celine im Interview in Berlin erzählt. Auch die Erzieherin Philina Allenspach und der Initiator des Projektes kommen zu Wort: Martin Hanske, er leitet in Albersdorf das Jugendzentrum, kurz JUZE genannt.
PODCAST-Interviews



Demokratie – was hat das mit unserem Alltag zu tun?
Demokratie ist ein großes Wort. Es klingt abstrakt, sehr allgemein und oft weit weg. Doch wenn Jugendliche ihren Alltag zu Hause, in der Schule und in der Freizeit mitgestalten können, dann sind sie mittendrin in der Demokratie. Wenn sie entscheiden und abstimmen oder ihre Meinung sagen, erleben sie, wie sich Demokratie für sie persönlich anfühlt. Demokratisches Mitbestimmen ausprobieren, können Jugendliche im Projekt Wir wollen mehr Demokratie wagen im Jugendzentrum in Albersdorf. Im Fokus stehen: mitreden, debattieren, Verantwortung übernehmen und gemeinsam Lösungen finden. Es geht darum, dass ihre Meinungen gehört werden und sie sich in ihrem Umfeld einbringen können. Janik nennt ein Beispiel: „Wir wurden mit dem Jugendzentrum von der Gemeindevertretung in Albersdorf eingeladen, um zu berichten, was sich Jugendliche wünschen. Wir haben dann Ideen für einen Gummiplatz entworfen und haben das der Gemeindevertretung vorgetragen.“
Warum machen Jugendliche mit?
„Es ist ja gerade viel Drama in der Politik und daher wollten wir uns alle mehr mit dem Thema beschäftigen“ – erklärt Maxie die Motivation, beim Projekt mitzumachen. Die Jugendlichen sind nicht zufällig dabei. Manche haben erlebt, wie es ist, wenn Erwachsene alles allein entscheiden – über ihren Kopf hinweg. Andere haben sich gefragt: Warum läuft das so? Geht das nicht auch anders? Im Projekt finden sie Räume, in denen ihre Meinung wirklich zählt. Sie erleben: Ich kann etwas bewegen. Und ich bin nicht allein, ich treffe Gleichaltrige, die ähnlich oder auch anders denken und mit denen ich über meine Erfahrungen und Positionen diskutieren kann.

Demokratie braucht Mut – oder?
Demokratie bedeutet nicht nur, eine Meinung zu haben, sondern sie auch zu äußern. Das kann anstrengend sein. Denn es bedeutet zugleich, auch andere Meinungen in Diskussionen auszuhalten, mich mit anderen Positionen auseinanderzusetzen und manchmal auch für die eigene Meinung Gegenwind zu bekommen. Im Projekt „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ wird genau das geübt: mutig sein, für Werte einstehen, anderen Meinungen zuhören und die eigene Haltung zu hinterfragen. Genau das erweitert die Perspektive und macht stark.
Wie fühlt sich Demokratie im Alltag an?
Demokratie kann man nicht sehen und nicht anfassen. Es ist aber möglich, Demokratie zu fühlen, wenn Jugendliche mit anderen über wichtige Themen diskutieren. Wenn sie in Rollen schlüpfen, Wissen und Positionen austauschen, Quizfragen gestalten und sich gegenseitig fragen: Was denkst du? Wie würdest du das lösen? Demokratie lebt vom Miteinander. Im Projekt wird klar: Es geht nicht darum, Recht zu haben – sondern darum, die eigene Meinung zu äußern, sich gegenseitig zuzuhören, gemeinsam Wege zu finden und Lösungen auszuhandeln. Die im Projekt gesammelten Erkenntnisse können überall eingebracht werden – im Jugendzentrum, in der Schule, im Heimatort, zu Hause.
Was sind die Inhalte und Ziele im Projekt?
Im Mittelpunkt des Projektes „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ steht die Frage: Wie wollen wir zusammenleben? Die Jugendlichen setzen sich mit gesellschaftlichen Themen auseinander, sie diskutieren über Gerechtigkeit, Mitbestimmung, Teilhabe, Debattieren. Jannes erklärt: „Es ging mit darum, dass man zum Beispiel demokratische Streitkultur näher kennenlernt und dass es in Ordnung ist, dass man Meinungsverschiedenheiten hat und dass man das diskutiert und sich nicht direkt schon ablehnt.“ Norwiga ergänzt: „Also dass jeder seine eigene Meinung vertritt und dass man sich dann auf eine Lösung einigt.“
Im Mittelpunkt stehen Zuhören, Verstehen, Perspektivwechsel, diskutiert wird über Gleichstellung, Rechte für Frauen und junge Menschen, über Krieg und Frieden, Medien, Politik und vieles mehr. Aber nicht nur in der Theorie. Die Jugendlichen planen selbst Aktionen, erstellen vor der Ü-18-Wahl Parteien-Plakate, um die Positionen der Politiker besser vergleichen zu können und eine Wahlentscheidung zu treffen. Sie werden auch noch ein Mitglied des Bundestages zum Gespräch ins Jugendzentrum einladen. Celine verrät, was sie interessiert: „Ich würde ihn fragen, warum er Politiker geworden ist und warum für diese Partei.“



Demokratie weltweit
Taylor erzählt von einem Quiz und von Rollenspielen, um Demokratie in verschiedenen Ländern zu vergleichen: „Das war super spannend auf jeden Fall“. Erzieherin Philina erklärt das von ihr vorbereitete Spiel „Demokratie weltweit“: „Es mir wichtig, dass die Jugendlichen die Unterschiede wahrnehmen, welche Rechte Menschen in verschiedenen Ländern haben, besonders auch Frauen. Und dann sollten die Jugendlichen in Rollen schlüpfen in einem bestimmten Land. Ich habe dazu Fragen gestellt: Dürft ihr in diesem Land wählen? Was hast du für Rechte? Zum Beispiel Meinungsfreiheit, Pressefreiheit. Es ist einfacher für Jugendliche, sich in eine konkrete Person hineinzuversetzen, als von außen drauf zu schauen. Wenn man dann in der Rolle ist, kann man die Situation vor Ort besser verstehen.“
„Wir wollen mehr Demokratie wagen“ ist ein Mix aus Gesprächen, kreativen Aktionen, Plan-Spielen, einer Exkursion in den Gemeinderat und nach Berlin und sehr viel Eigeninitiative. Über ihre Erfahrungen können die Jugendlichen mit dem Leiter des Jugendzentrums immer wieder reflektieren. Martin Hanske, der Leiter des Jugendzentrums Albersdorf und Initiator des Projektes verbindet den Projekttitel durchaus mit der eigenen Verantwortung: „Wagen bedeutet, dass man in der Demokratie Position beziehen und diese Position dann auch im Miteinander mit den anderen verteidigen muss, dass man auch Kritik aushält. Und das ist natürlich nicht immer bequem, wenn man Debatten führen muss. „Demokratie wagen“ heißt, dass man sich auf einen Prozess einlässt, um verschiedene Meinungen unter einen Hut zu bekommen. Demokratie ist auch immer ein Stück Kontrollverlust, denn man kann seine Forderungen und Ideen meist nicht 1:1 umsetzen, sondern muss das im Austausch mit anderen machen.“

Lebendige Demokratieorte in Berlin
Ein Höhepunkt im Projekt ist die Berlin-Fahrt, die an verschiedene Orte führt, die Demokratie und Geschichte lebendig machen: zum Brandenburger Tor und zur Eastside-Gallery, zur Siegessäule und zum Denkmal für die ermordeten Juden Europas, in einen Bunker und in den Bundestag. Tyson: „Das hat viel mit Demokratie zu tun, weil im Bundestag sitzen ja die ganzen Politiker und die bestimmen ja alles.“ Beim Programm für die Berlin-Reise konnten die Jugendlichen im Vorfeld viel mitbestimmen. Maxie: „Zum Beispiel der Besuch im KZ in Sachsenhausen war uns sehr wichtig. Das war eine Sache, die uns auch mitgenommen hat, weil wir uns damit beschäftigt haben und die uns dann auch etwas bedeutet hat.“ Bei selbst vorbereiteten Vorträgen, bei Führungen und in Gesprächen mit Expert:innen erleben die Jugendlichen Geschichte hautnah und erhalten Einblick in politische und demokratische Prozesse. Auch das gehört zur Demokratie: verstehen, woher wir kommen – um zu wissen, wohin wir gehen.

Was nehmen die Jugendlichen mit?
Rückblickend sagen die Jugendlichen: „Ich sehe jetzt einiges mit anderen Augen.“ Sie haben gelernt, sachlich zu diskutieren, ohne sich persönlich anzugreifen oder zu beleidigen. Wie können wir uns respektvoll begegnen? Wie finde ich Argumente? Wie hören wir einander aktiv zu? Wie können wir gemeinsam stärker werden. Die Jugendlichen verstehen, was politische Teilhabe bedeutet und dass Demokratie nicht allein oder von allein funktioniert. Das Projekt gibt Selbstvertrauen, fördert Teamgeist und zeigt den jungen Mneschen: Ich kann etwas bewegen, wenn ich aktiv und mutig bin. Erzieherin Philina Allenspach reflektiert: „Ich finde es total spannend, wie man junge Menschen motivieren kann, sich politisch zu engagieren oder sich überhaupt zu informieren und das Interesse zu steigern. Die Jugendlichen lernen: Ich kann im Alltag Einfluss nehmen oder diskutieren und reden und damit von mir auch andere Seiten zeigen. Das war auf jeden Fall meine Erkenntnis.“
Die Jugendlichen sind nach dem Projekt selbstbewusster, politisch interessierter und engagierter. Sie setzen sich in der Schule für Mitbestimmung ein: als Schulsprecher:innen oder im Schülerrat. Im Podcast-Interview erzählen sie, wie sie persönlich gewachsen sind, auch durch die Reise nach Berlin. Das Projekt wirkt also nicht nur in der Gruppe, sondern darüber hinaus. Es stärkt die Demokratie von unten, von den Jugendlichen selbst.
Demokratie ist Schwarmintelligenz
Demokratische Prozesse können allerdings zuweilen auch unplanbar verlaufen und müssen dennoch akzeptiert werden, so Martin Hanske. Auch das sei eine wichtige Erkenntnis für die Jugendlichen: „Demokratie ist Schwarmintelligenz. Das heißt, dass eine Diskussion auch mal schlecht laufen kann und der Schwarm schlechtere Ergebnisse produziert als zum Beispiel zwei oder drei Leute einer kleinen Gruppe. Es ist kein Automatismus, dass die Ergebnisse stets perfekt sind. Und doch besteht immer die Möglichkeit, dass der Schwarm schlauer sein kann als die Individuen.“
wie geht’s weiter?
Mit dem Projekt „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ möchte Martin Hanske gemeinsam mit den Jugendlichen die Lokalpolitik weiter verfolgen und vor allem jene Themen im Auge behalten, die die Jugendlichen direkt betreffen und auf die sie in ihrer unmittelbaren Umgebung einwirken können. Es geht um Nachhaltigkeit: Demokratie muss gepflegt, gelebt und weitergegeben werden. Die Jugendlichen wollen ihre Erfahrungen teilen, neue Formate entwickeln und weitere Jugendliche ermutigen mitzumachen. Kurz: Es soll weitergehen – mit Wagemut, Herz und Leidenschaft und zugleich mit Geduld und Kompromissfähigkeit. Martin Hanske beschreibt es so: „Demokratie ist für mich eine Haltung und weit mehr als nur ein politisches System. Es geht darum, dass man zuhört, mitgestaltet, Diskurs und Vielfalt aushält, Verantwortung übernimmt. Demokratie lebt vom Miteinander und dass man daran glaubt, Dinge verändern zu können.“
Und genau deshalb fängt Demokratie im Kleinen an. Jugendliche sind keine Zuschauer, sondern Mitgestalter:innen. Für Martin Hanske ist es zentral, jungen Menschen Räume zu geben, in denen sie sich ausprobieren können. Er sagt: „Wenn wir wollen, dass Demokratie eine Zukunft hat, müssen wir Jugendlichen heute zuhören und sie ernst nehmen.“ Genau das gelingt mit dem Projekt – und zeigt, wie viel Kraft in jungen Stimmen steckt.
Förderprogramm „MITEINANDER REDEN„
Ermöglicht und gefördert wird das Projekt von der Bundeszentrale für politische Bildung im Rahmen von MITEINANDER REDEN. Neben Reden geht es vor allem um Zuhören und Austausch, um Handeln, Gestalten und Einfluss nehmen, um das gemeinsame Erleben von Selbstwirksamkeit und Teilhabe. Demokratie ist nichts Abstraktes. Sie beginnt meistens mit einem Gespräch.

Transparenz PROZESSBEGLEITUNG
Ich habe das Projekt Wir wollen mehr Demokratie wagen im Jahr 2025 als Prozessbegleiterin im Programm MITEINANDER REDEN beraten und unterstützt. Seit 2019 bin ich als Prozessbegleiterin für das Programm tätig und begleite Vereine, Netzwerke, Ideenstifter:innen und Projektträger:innen bei der Durchführung und Umsetzung ihrer Vorhaben, so auch das Jugendzentrum in Albersdorf in Schleswig-Holstein. Ich habe etwa 25 sehr unterschiedliche Vorhaben begleitet, hier ein Überblick.
Prozessbegleitung heißt: Ich berate, coache und vernetze die Projekt-Akteur:innen und bringe meine Erfahrungen aus 30 Jahren Kreativschaffen ein: Medienproduktionen, Projektmanagement, Verlagsarbeit, Veranstaltungen, Marketing, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Teamführung, Vernetzung und Beratung, Krisenkommunikation. Prozessbegleitung ist eine vielfältige Mischung aus Mentoring und Coaching, Moderation, Kommunikation und Supervision, Konfliktmanagement und inhaltlich-fachlicher Beratung. Ich ermutige die Akteur:innen zur aktiven Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens und zur Teilhabe. Ziele sind u. a. Selbstwirksamkeit und Resilienz zu erfahren, empathisches Zuhören und sachliches Miteinander, Aushandeln zu erlernen und zu erleben, ebenso lebensreale und wirksame Methoden gegen Extremismus, Rassismus und Ausgrenzung zu erproben.
Die Akteur:innen schärfen mit ihren Projekten das Bewusstsein für Demokratie. Ihre Vorhaben entwickeln sie passend für ihrer Region und setzen sie gemeinsam mit anderen um, häufig mit künstlerisch-kreativen Konzepten und Methoden.
Nach den ersten drei Förderperioden 2019-2021 (drei Projekte), 2021-2023 (fünf Projekte), und 2023/2024 (neun Projekte), unterstütze ich in der Förderperiode 2023-2024 acht neue Vorhaben im Norden. Mehr über meine Projekte in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg und Sachsen-Anhalt siehe Referenzen.
