Verwertungsrechte: Was passiert mit Rundfunkbeiträgen nach ihrer Ausstrahlung?
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der ARD produzieren tagtäglich hunderte audiovisuelle Beiträge: Interviews und Reportagen, Bilder und Texte, Audios und Filme. Sie schaffen immense Schätze für unser kulturelles Gedächtnis. Doch was passiert mit den Beiträgen nach ihrer Ausstrahlung? Wie können die Beiträge langfristig erhalten und verwendet werden? Wie und in welcher Form können die bereits ausgestrahlten Texte, Töne, Bilder und Filme später von den Akteuren sinnvoll genutzt werden?
Kostenlose Mitarbeit in gebührenfinanzierten Beiträgen
Wer einmal als „Otto-Norma-Verbraucher“ an einem journalistischen Fernsehbeitrag mitgewirkt hat weiß, dass die Reporter und Kamerateams die Film-Akteure oft stundenlang beschäftigen, bis die Interviews und bunten Bilder über die Protagonisten „im Kasten“ sind. Geld erhalten die Porträtierten nicht dafür. Auch Experten stellen ihr Fachwissen und ihre Expertise kostenlos in Hörfunk- oder Fernsehinterviews zur Verfügung. Hinterher dürfen sie die Beiträge jedoch nicht kostenfrei für eigene Zwecke, wie z. B. die eigene Website, nutzen. Sie müssten bezahlen, wollten sie sie auf ihrer Website nutzen. Doch für junge Firmengründer, Künstler oder Musiker stellt das eine Hürde dar.
Inhaltliche Vielfalt durch Bürgerbeteiligung
Gerade junge Startups, Freiberufler und Einzelunternehmer, Künstler und Kreative tragen mit ihren beruflichen oder ehrenamtlichen Aktivitäten zur thematischen Vielfalt der Rundfunkprogramme bei. Sie investieren viel Zeit, wenn sie als Partner an Interviews, Filmen und Beiträgen mitwirken und dafür keine Vergütung erhalten. Man könnte meinen, dass sie als Ausgleich für den Aufwand ihre eigenen Portraits und Interviews wenigstens kostenfrei für Werbe- und Marketingzwecke nutzen können. Doch weit gefehlt: Nutzung kosten und nicht zu knapp. Gerade junge Startups, Künstler und Kreative können sich das aber nicht leisten.
© Carmen M. Borchers: Elbgoldmanufaktur
Verwertung nach der Ausstrahlung?
Warum verschwinden die Beiträge in den Archiven bzw. hinter Mediatheken. Warum dürfen die Beiträge nicht von den Portraitierten und Experten für die eigene Website oder für die Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden? Warum sollen bzw. müssen die medial Porträtierten für die Beiträge Geld bezahlen, wenn sie sie für eigene Zwecke nutzen wollen? Dabei haben sie bereits viel Zeit investiert, damit die Beiträge überhaupt entstehen konnten. Das Portal iRights.info hat dazu im Oktober 2019 Rabea Limbach in einem sehr aufschlussreichen Interview ausführlich befragt, u. a. ob es nicht bedauerlich sei, „dass aufgrund der rechtlichen Schwierigkeiten so viel wertvolles Archivgut verschlossen bleibt…“. Limbach, wissenschaftliche Dokumentarin beim Deutsches Rundfunkarchiv antwortet darauf: „Aus meiner Sicht geht es in dem ganzen Urheberrechtsdiskurs in Deutschland sehr viel um die Rechte des Einzelnen und zu wenig um die Interessen der Gemeinschaft. Wir haben einen beitragsgeförderten Rundfunk und ich persönlich bin der Überzeugung, dass die Gesellschaft bessere Möglichkeiten haben müsste, auf die Produktionen zuzugreifen.“ Im weiteren Verlauf erläutert Rabea Limbach ausführlich die Probleme und Schwierigkeiten.
Gebührenfinanzierte Beiträge
Trotz aller Argumente und rechtlichen Herausforderungen: Die medialen Produktionen kosten viel Geld. Die notwendigen Budgets werden aus Rundfunkgebühren der Bürger finanziert, also von uns allen. Es waren beträchtliche Rundfunkgebühren der Bürger nötig, um einen TV-Journalisten, einen Kameramann, einen Tonmann, einen Cutter für den Schnitt, einen verantwortlichen Redakteur und einen TV-Moderator im Studio zu finanzieren, damit der Beitrag realisiert und ausgestrahlt werden konnte. Wäre da nicht eine kostenfreie Zweitverwertung wünschenswert, die einen Mehrwert für alle Beteiligten schafft. Warum darf der Handwerker, der junge Startup-Gründer, der Künstler oder die Musikband den Bericht nicht kostenfrei auf die eigene Website oder den Social Media-Kanal stellen? Warum verlangen die Rundfunkanstalten dafür eine teure Lizenz, obwohl der Beitrag doch bereits finanziert ist?
Beispiel: TV-Portrait einer Musikband
Eine Band hat wochenlang auf eigenes Risiko ein Clubkonzert organisiert. Die Musiker haben Stücke komponiert, Texte geschrieben, geprobt, den Club mit Licht- und Livetechnikern gemietet, Flyer entworfen und drucken lassen, Pressemitteilungen geschrieben und an die Medien verschickt, Journalisten eingeladen und hinterher telefoniert. Schließlich kündigt sich ein Fernsehjournalist mit Kamerateam für einen Vorbericht an. Die Musiker nehmen sich Zeit für Vorgespräche, ein Interview im Radiostudio und einen halbtägigen Drehtermin im Club, damit es viele bunte Bilder gibt. Der Beitrag wird eine Stunde vor Konzertbeginn in einem TV-Magazin ausgestrahlt und könnte zumindest Kurzentschlossene noch erreichen, um zum Konzert in den Club zu kommen.
© Komitee für Unterhaltungskunst
Zweitverwertung im Sinne der Akteure und Bürger
Rückblickend haben die Musiker viel Zeit für den Beitrag investiert und es waren beträchtliche Rundfunkgebühren der Bürger nötig, um einen Journalisten, einen Kamermann, einen Tonmann, einen Cutter für den Schnitt, einen verantwortlichen Redakteur und einen TV-Moderator im Studio zu finanzieren, damit der Beitrag realisiert und ausgestrahlt werden konnte. Wäre da nicht eine kostenfreie Zweitverwertung wünschenswert, die einen Mehrwert für alle Beteiligten schafft. Warum darf die Band den Bericht nicht kostenfrei auf ihre Website oder ihre Social Media-Kanäle stellen? Warum verlangen die Rundfunkanstalten dafür eine teure Lizenz, obwohl der Beitrag doch bereits finanziert ist?
Beachtung von Verwertungs- bzw. Persönlichkeitsrechten
Die Produktion der Beiträge ist bereits aus Rundfunkgebühren bezahlt! Warum also müssen die Protagonisten der medialen Beiträge nochmals zahlen? An Verwertungs- bzw. Persönlichkeitsrechten kann es nicht liegen. Mit den Richtlinien der neuen EU-Datenschutzverordnung muss sich ohnehin jeder Bürger auseinandersetzen, der eine Website betreibt oder sich in den sozialen Netzwerken bewegt. Der Bürger ist längst mündig und trägt Verantwortung für sein Tun!
Förderung von Gründern, von Kultur- und Kreativwirtschaft
Warum gibt es kein Entgegenkommen der Rundfunkanstalten, fragt man sich? Warum muss für eine nachgelagerte Nutzung nochmals bezahlt werden? Die Beiträge wurden doch bereits aus den Gebühren der Bürger finanziert. Es wäre eine mehr als sinnvolle Förderung von Kunst, Kultur, Kreativwirtschaft und Gründerwesen, wenn die Protagonisten bereits produzierte und finanzierte mediale Beiträge auf ihren Kanälen ausstrahlen dürften.
Mehrfachnutzung ermöglichen auf einer Wissensplattform
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollten alle bereits ausgestrahlten und gebührenfinanzierten Beiträge auf einer öffentlichen Wissensplattform zugänglich machen – für das lebenslange Lernen aller Bürger. In Zeiten, das sich die Arbeitswelt radikal ändert, müssen Bürger ihr Wissen stetig erweitern! Daher wäre es wünschenswert, wenn jede/r BürgerIn auf die Rundfunkbeiträge zugreifen und kostenfrei nutzen könnte. Es wäre ein gutes Beispiel für eine zivilgesellschaftliche Plattformökonomie – im Sinne eines kollektiven Gedächtnisses. Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Beachtet werden muss dabei natürlich, dass keine Persönlichkeitsrechte und keine Werke anderer Urheber verletzt werden (Autoren, Dichter, Komponisten usw.). Jeder Bürger trägt dafür selbst Verantwortung.
Vordenker-Kongress
Kürzlich ist ein Kongress in Bern in der Schweiz dieser Frage nachgegangen. Das Memoriav Kolloquium 2018 hat unter dem Thema REPLAY: TV- UND RADIODOKUMENTE NACH DER AUSSTRAHLUNG #CMK2018 die Archivierung–, Nutzung und Vermittlung von Fernseh- und Radioarchiven in den Fokus gerückt und gefragt: Wie sind Rundfunkbeiträge zugänglich? Wie und wofür kann man sie nutzen? Wie wirken sich die aktuellen technischen und politischen Veränderungen bei der Medienproduktion auf diese Fragen aus?
Das Memoriav Kolloquium findet traditionell im Rahmen des Welttages des audiovisuellen Erbes statt und steht unter der Schirmherrschaft der Schweizerischen UNESCO-Kommission. Kooperationspartner des diesjährigen Kolloquiums ist die SRG SSR – ein Verein, der allen offen steht. Dieser Verein betreibt das öffentliche, unabhängige Medienhaus SRG, das in vier Sprachregionen audiovisuelle Angebote produziert und verbreitet und hierfür 6000 Mitarbeitende beschäftigt.