Von der Kunst, ein Unternehmen zu gründen
Wahre Gründer tragen selten Anzüge. So der Eindruck beim EntrepreneurshipSummit Anfang Oktober in Berlin. Auf normalen Wirtschaftskongressen blickt man gewöhnlich auf tristes Blau, Grau oder Schwarz. Die Unternehmensprojekte auf dem Summit hingegen lassen die Entrepreneure innerlich leuchten. Deren Aufmerksamkeit gilt anderen Themen als Kleidungscodes. Ich habe mir zwei Tage angeschaut und angehört, was die Gipfelstürmer um- und antreibt. Und auch einiges verkostet …
Der Entrepreneurship Summit 2016
Es ist das Jahresereignis für Querdenker, Freigeister, Ideenstifter, Erfinder, Macher, Unternehmer und Kapitalgeber. Im 15. Jahr ihres Bestehens rief die Stiftung Entrepreneurship zum gleichnamigen Summit in die Freie Universität nach Berlin. Der umtriebige Wirtschaftsprofessor Günter Faltin hat die Stiftung 2001 ins Leben gerufen und mit ihr die zweitägige Tagung. Er möchte seinen Studenten alternative Möglichkeiten zur Unternehmungsgründung aufzeigen: Kopf schlägt Kapital, so seine Überzeugung. Es ist zugleich der Titel eines seiner Bestseller, Pflichtlektüre für jede/n, der Unternehmer/in werden möchte und nicht auf ein dickes finanzielles Polster zurückgreifen kann. 150.000 Mal wurde sein Buch gekauft und in acht Sprachen übersetzt.
Konzept, Konzept, Konzept
Faltin betont unermüdlich die Vorzüge der Unabhängigkeit und mahnt, sich nicht zu früh von Geldgebern abhängig zu machen. Sein Schlachtruf: Konzept, Konzept, Konzept, so wie Immobilienexperten ihr Credo Lage, Lage, Lage beschwören. Mit der von ihm initiierten Teekampagne tritt Faltin den Beweis an, dass sich gewohnte Marktmechanismen erschüttern und neu strukturieren lassen: mit einer nachhaltigen Geschäftsidee und einem stimmigen Unternehmenskonzept, durch unerschrockenes Denken und Perspektivwechsel, durch das Prinzip der Arbeitsteilung mit Hilfe des Baukastensystems Komponentenportal. Mit viel Durchhaltevermögen ist die Teekampagne heute mit 200.000 Direktkunden der weltweit größte Importeur von Darjeeling-Tee.
Sinnvolle Geschäftsideen
Inzwischen hat Faltin viele seiner Studierenden inspiriert, gesellschaftlich sinnvolle und nachhaltige Geschäftsideen zu realisieren und Unternehmen zu gründen: Ratiodrink, Koawach, ACL Reis Company, Barcomi’s, Libunis … Sozialunternehmer erzählen darüber beim Summit mit großem Enthusiasmus, u. a. Harriet Bruce-Anan, die mit ihrem Hilfsprojekt African Angel Kindern in Ghana den Schulbesuch ermöglicht. Mit herausragendem persönlichen Engagement erarbeitete die Gründerin die ersten 5.000 €, den Grundstock ihres Stiftungskapitals, mit dem Putzen von Toilletten.
Der Summit zieht ständig neue gründungsbegeisterte Akteure für das jährliche Großereignis an. In diesem Jahr kamen etwa 1000 Teilnehmer und Gäste. In über 70 Impulsvorträgen, Workshops, Seminaren und interaktiven Formaten gab es Wissenswertes rund um das Thema und eine Ermutigung für alle, an ihren Idealen festzuhalten. Ein neues Jahresprogramm Call to Action soll Gründern Feedback geben, sie begleiten und dabei unterstützen, zu einem nachhaltigen Entrepreneurial Design zu finden.
Kunst und Kreativität
Einen Entrepreneur, so Faltin, verbindet vieles mit einem Künstler. Beide feilen lange an ihrem Konzept, bis sie von einer ersten Idee zu einem ausgereiften Konzept gelangen. Wie Kreativität und Kunst auf den Gründungsprozess Einfluss nehmen, darüber berichtet Thomas Fuhlrott. Sein Unternehmen zait beweist, wie sich der Handel mit hochwertigen Olivenölen zukunftsweisend organisieren lässt. Fuhlrott kuratierte mehrere Ausstellungen und organisiert regelmäßig ein Fest der Begegnungen mit Kunst und Kultur, hochwertigen Produkten, Essen und Trinken – für eine Ökonomie zum Vorteil aller Beteiligten.
Ohne kreatives Denken gibt es kein Gründen, so Prof. Gunnar Spellmeyer. Er stellte NEXSTER vor, das Entrepreneurship-Center der Hochschule Hannover. Mit Unterstützung des dortigen Netzwerkes der Kreativbranche kre|H|tiv werden Absolventen, Start-Ups und etablierte Unternehmen branchenübergreifend in vielfältigen Formaten zusammen gebracht: Prototypenparty, Mitwisser-Vortrag, Sofatalk, LeanLab, Quicktour, Gründerwoche und FuckUp Nights, in denen Gründer über ihr Scheitern berichten, was oft zu mehr Erkenntnissen führt als jubelnde Erfolgsgeschichten.
Nachhaltigkeit einfordern
Viele Gründer schuften rund um die Uhr und empfinden sich als eine Mischung aus Extremsportler oder Masochist. Besser gelingt der Start mit sinnstiftender Freundes-Ökonomie, so Faltin. Gemeinsame Großbestellungen für Zahnbürsten, Waschmittel oder Toilettenpapier verleihen einem Start-Up die notwendigen Flügel. Dies zeige auch ökonomisch Wirkung. So könne man Marktführern Paroli bieten, die Verkaufspreise unnötig durch immenses Marketing und Markenwerbung in die Höhe treiben – siehe Jeremy Rifkin: Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Als Negativ-Beispiel führt Faltin den Schauspieler Georges Clooney an, der einem ökologisch zutiefst verwerflichen Produkt, den Kaffeekapseln, mit seinem Gesicht zu weltweitem Erfolg verhilft. Die Fakten sind niederschmetternd: Enorme Wasser- und Ressourcenverschwendung für ein überteuertes Produkt, das zu einem Drittel aus Verpackung besteht. In einer Kunstaktion wurden gebrauchte Kaffeekapseln mit Bauschaum an eine Styropor-Mauer geklebt (leider nicht wirklich im Sinne der Umwelt!) und von den Teilnehmern des Summits symbolisch nieder gerissen.
Geschäftsideen mit Idealen zum Laufen bringen
Konsens beim Summit: Es gehe nicht darum herauszufinden, was es auf dem Markt noch nicht gibt, sondern: Was können wir besser machen? Womit lässt sich das Leben erleichtern und nachhaltiger gestalten? Wichtig sei es, an den Problemen der Zeit zu arbeiten. Patrick Stähler von Fluidminds erläutert in seinem Workshop, dass Produkte nur Mittel zum Zweck seien. Der Kunde kaufe nicht ein Produkt, sondern die Lösung für eine konkrete Aufgabe.
Sympathie und Vertrauen sind stark unterschätzte ökonomische Faktoren, die dringend mehr Aufmerksamkeit benötigen. Günter Faltin rief die Teilnehmer dazu auf, keine Ethik vom Sessel aus zu betreiben: “Wir haben die Chance, eine bessere Welt zu bauen. Liebevoller, witziger, feinfühliger und künstlerischer, als es je zuvor möglich gewesen ist. Aber wir müssen selbst in den Ring steigen, es selbst in Gang bringen, es selbst unternehmen. Es nicht den bloßen Gewinnmaximierern überlassen.“ Wer dies beherzige, erlebe Selbstwirksamkeit und Erfüllung, frei nach Konfuzius: „Wenn Du das zu Deiner Aufgabe machst, was Dir Spaß macht, musst du Dein Leben lang nicht arbeiten.“
Dietmar Grichnik von der Universität St. Gallen sprach zum Thema „Vom Glück ein Unternehmer zu sein“ und beschrieb drei Unternehmerrollen: den Darwinisten, für der der Markt eine Kampfarena für die Stärksten sei, der Communitarist, der Anerkennung von seiner Community suche und der Missionarist, der durch sein Wirken das Konsumverhalten der Menschen ändern wolle.
Impulse von Vordenkern
Wegweisende Impulsvorträge gab es vom brandeins-Gründer Wolf Lotter, von dem Soziologen Harald Welzer und von Jakob von Uexküll, Gründer des World Future Council. Lotter klagt die „neue Elite“ (u. a. die Internetkonzerne) an, weil sie ihr Wissen nicht mit den Bürgern teilen wollen. Er ruft zu mehr konstruktiver Auseinandersetzung auf. Harmonie könne verblöden. Eine Demokratie müsse andere Meinungen aushalten, alles andere führe zu einer „geschlossenen Gesellschaft“. Harald Welzer hatte bereits zuvor für seine zivilgesellschaftliche Initiative Die Offene Gesellschaft geworben. Ihr Ziel: Toleranz, Vielfalt und Demokratie zu verteidigen mit Aktionen von Bürgern und 365 Veranstaltungen bis zur Bundestagswahl 2017. Der Kern der Demokratie ist Freiheit. Was Andere erkämpft haben, muss lautstark verteidigt werden. Die Mehrheit der Bürger müsse generell lauter werden, so Welzer, um der Minderheit der Intoleranten stärker die Stirn zu bieten. Um Zukunftsperspektiven in den Köpfen zu schaffen, braucht wir sinnstiftende Visionen, so Harald Welzer: „Geschichten sind das stärkste Medium der Menschheitsgeschichte.“
Mut und Unnachgiebigkeit
Neue Ideen hätten es oft schwer, so Jakob von Uexküll. Davon dürfe man sich nicht entmutigen lassen. Uexküll erzählt von seiner Idee, einen Alternativen Nobelpreis zu verleihen. Das Nobelpreiskomitee lehnte seinen Vorschlag ab. Uexküll blieb hartnäckig und wurde selbst zum Preisstifter, indem er seine private Briefmarkensammlung verkaufte. Bedauerlicherweise, so Uexküll, sei der Erlös nicht ganz so ertragreich gewesen wie der Handel mit Dynamit. Doch entscheidender als die Höhe des Preisgeldes sei die symbolische Geste, Pioniere zu würdigen. Sie hätten mit alternativen Wegen bewiesen, wie sich lokale und globale Herausforderungen in unserer Welt meistern ließen.
Gerade Quer- und Neudenker zu belohnen, sei doch im Sinne von Alfred Nobel gewesen, der stets fragte: Was bringt den Menschen den größten Nutzen? Uexküll berichtete auch vom Netzwerk futurepolicy.org, einer interaktiven Website, über die sich Politiker über erfolgreiche Gesetze austauschen könnten.
Mehr Transparenz und Durchblick durch Medien
In einer Werkstatt zum Thema Medien stellten Akteure neue journalistische Projekte und alternative Geschäftsmodelle vor. Die Recherche-Initiative Correct!v finanziert sich weitgehend aus Stiftungsmitteln, kooperiert mit verschiedenen Medien gleichzeitig und kann aufwändig recherchierten Themen crossmedial in mehreren Medien veröffentlichen. Die Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche finanziert sich durch ein Mix aus Mitgliedsbeiträgen, Fördergeldern, Spenden und Anzeigeneinnahmen. Als ihre Kernaufgabe sieht sie die Vermittlung von Recherchetechniken und Vergabe von Stipendien an, um die sich Journalisten mit konkreten Themen bewerben können.
Mit Hilfe prominenter Unterstützer hat die Online-Community Perspective Daily 14.000 Mitglieder eingeworben, die für 60 € pro Jahr täglich von Montag bis Freitag einen Artikel werbefrei lesen können. Die Themen werden nach dem Grundsatz eines konstruktiven Journalismus zukunftsorientiert aufbereitet.
Die journalistischen Gründer befragten die Teilnehmer zu ihren Erwartungen an die mediale Berichterstattung und die Rolle der Medien. Das Internet sei vollgestopft mit Informationen, daher sei es wichtig, die richtigen Informationen aufzufinden und Quellen zu bewerten. Journalisten sollten stärker über den Fortgang von Geschichten berichten, darüber, wie sich Sachlagen, Prozesse und Entscheidungen weiterentwickeln, so der Wunsch der Nutzer.
WIR-Kultur
Entrepreneurship hat längst auch erfolgreich Einzug in die Bildung, darüber sprachen Peter Spiegel, Autor des Buches WeQ und Initiator des GENISIS Institute for Social Business and Impact Strategies, sowie Margret Rasfeld, pensionierte Leiterin der Evangelischen Schule Berlin. Die von ihr initiierte Bewegung Schule im Aufbruch revolutieriert seit einiger Zeit nicht nur das Schulsystem in Deutschland, sondern strahlt u. a. auch nach Polen und Österreich aus. Moritz Ettl vom Hasso-Plattner-Institut HPI-Academy stellte verschiedene Schüler-Projekte in Deutschland und Österreich vor. Einen Workshop zum genossenschaftlichen Entrepreneurship präsentierten Spiegel und Ettl gemeinsam und erfragten bei den Teilnehmern des Summits Ideen, um Regionen über „WeQubatoren“ mit genossenschaftlicher Hilfe zur Selbsthilfe neue Impulse zu geben.
© Studierende der ESCP Berlin: Kritische Auseinandersetzung mit Google, Fotos: Antje Hinz, MassivKreativ
Integration, Offenheit und erneut Kunst!
Der Entrepreneurship Summit der gleichnamigen Stiftung steht allen offen, d. h. auch Experten jenseits der FU Berlin aus anderen Universitäten, Instituten, Institutionen. Studierende privater Hochschulen sind ebenfalls willkommen. Gerade diese Offenheit wirkt besonders sympathisch und inspirierend. Einer der Höhepunkte für mich persönlich war die Präsentation der Kunstprojekte von Studierenden der Berliner ESCP-Hochschule, einem Ableger der 1819 weltweit ersten gegründeten Wirtschaftshochschulen „École Superieure de Commerce de Paris (ESCP) mit aktuell sechs Standorten in Berlin, London, Madrid, Paris, Turin und Warschau. Fester Bestandteil des Studiums an der ESCP ist ein angeleiteter Kunst-Workshop, in dem sich Studierende 2 Tage lang mit aktuellen Entwicklungen in der Wirtschaftswelt auseinandersetzen. Mit Kurzfilmen, Collagen und Infografiken entlarven die Studierenden machtgetriebene Karrieren ebenso wie unsere wachsende, zuweilen unkritisch hingenommene Abhängigkeit von Medien- und Internetmonopolisten. Mit ihren Kunstwerken werben für das 1. EntrepreneurshipFestival am 19. Oktober in Berlin.
Kunst bietet die Chance für Perspektivwechsel. Günter Faltin weiß: Gerade Gründer müssen den Status Quo ständig hinterfragen, im Gespräch, im Dialog. Der Magic Table von Farah Lenser und Heiner Benking bot Raum für Gedankenaustausch und eine erfrischende Gesprächskultur, von der sich viele Teilnehmer eine Fortsetzung wünschen.
Auch der Nachwuchs erhielt beim Summit ein Podium. Seit 2004 fördert der gemeinnützige Verein NFTE Deutschland, Network for Teaching Entrepreneurship Unternehmergeist, Eigeninitiative und Selbstvertrauen bei Jugendlichen zwischen 13 und 20 Jahren mit innovativen Wirtschaftskursen an Schulen. Die erfolgreichsten Schülerprojekte wurden am Sonntag beim Summit prämiert. Ein besonderer Fokus gilt grundsätzlich Jugendlichen mit schlechteren Startchancen, bei ihnen hat sich das NFTE Programm in herausragendem Maße bewährt.
Übrigens: Wer nicht dabei sein konnte, kann das medial nachholen – auf dem youtube-Kanal der EntrepreneurStiftung. Viel Spaß!
Der nächste Entrepreneurship Summit 2017 findet am 21. und 22. Oktober 2017 statt. Angekündigt sind Impulsvorträge von Gregor Gysi, Ernst Ulrich von Weizsäcker und Thomas Sattelberger. Das Summit Thema 2017 „Citizen Entrepreneurship“ erklärt Prof. Faltin in diesem kurzen O-Ton.
Der Entrepreneurship Summit ist das besondere Gründer-Event in Deutschland. Über 100 Experten aus allen Bereichen des Entrepreneurship treffen auf 1000 Gleichgesinnte, Gründer, Visionäre und Querdenker! Zu erleben sind inspirierende Keynotes, Impulsgruppen und Interviews.
Weibliche Keynote-Sprecherinnen werden beim Summit offenbar noch gesucht, hier gibt es Hilfe: https://speakerinnen.org/ und https://50prozent.speakerinnen.org/ und https://digitalmediawomen.de/
Eine Antwort zu “Von der Kunst, ein Unternehmen zu gründen”
Danke für diesen wunderbaren und inspirierenden Beitrag!