Web, Apps, Games: Flucht als Selbsterfahrung
Reihe: Hilfe für Geflüchtete – Ideen und Impulse aus der Kreativbranche, Teil 7 – Web, Apps, Games
Künstler und Kreativschaffende aus unterschiedlichen Branchen unterstützen überall in Deutschland Geflüchtete: egal ob im Theater oder auf der Opernbühne, in Film- oder Tonstudios, in Architektur- oder Designwerkstätten, in Kunst-Ateliers oder in multikulturellen Küchen, bei Flashmobs, Tanzperformances oder in Game-, App- und Web-Laboren. Die Beispiele der folgenden 10teiligen Blogreihe zeigen, dass Deutschlands Kreativszene ein starker Innovationsmotor für eine gelungene Integration ist, die Parallelgesellschaften vorbeugt und damit uns allen hilft.
Web I: Internet-Portal vermittelt WG-Zimmer für Asyl-Suchende
Flüchtlinge Willkommen – so heißt ein Webportal von Mareike Geiling, Jonas Kakoschke und Golde Ebding. Die drei Kreativen möchten Geflüchteten mit der Vermittlung von WG-Zimmern eine Alternative zu Massenunterkünften bieten: „Wir sind der Auffassung, dass geflüchtete Menschen durch Massenunterkünfte nicht stigmatisiert und ausgegrenzt werden sollten, sondern dass wir ihnen einen warmen Empfang bieten sollten. Wir sind der Meinung, dass wir gemeinsam eine andere Willkommenskultur in Deutschland etablieren sollten.“ Freie Zimmer können auf der Website angemeldet werden. Die drei Initiatoren stellen dann den Kontakt zwischen dem Vermieter und dem Geflüchteten her. Die Miete wird mit Hilfe von Spenden finanziert. Knapp 250 Geflüchtete fanden bisher mit Hilfe des Portals ein WG-Zimmer.
© workeer, Foto: Alessandra Schelnegger
Web II: Ausbildungs- und Arbeitsplatzbörse
Die Plattform workeer soll dabei helfen, dass arbeitssuchende Geflüchtete und passende Arbeitgeber zueinander finden. Die Jobbörse entstand als Abschlussprojekt im Rahmen des Bacheler-Kommunikationsdesignstudiums an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Die Studenten und Absolventen planen, das Portal dauerhaft weiterzuentwickeln. Die Betreiber schreiben auf der Website „5 gute Gründe, Flüchtlingen Jobs zu geben“:
- Geflüchtete sind motivierte und engagierte Arbeitskräfte.
- Eine gelungene Integration in den Arbeitsmarkt fördert auch die weitere erfolgreiche Integration von Menschen.
- Geflüchtete haben oft eine besondere Lebensgeschichte und bereichern dadurch Unternehmen mit ihrem Wissen, ihren Erfahrungen und ihren unterschiedlichen kulturellen Prägungen.
- Geflüchteten wird es durch einen Arbeitsplatz ermöglicht, ein eigenständiges Leben zu führen ohne von Sozialleistungen abhängig zu sein. Das hat für sie positive psychische Effekte und entlastet außerdem das deutsche Sozialsystem.
- Viele von ihnen verfügen über Ausbildungen oder Studienabschlüsse in Branchen, in denen es in Deutschland an Fachkräften mangelt.“
Web III: Willkommensplattform
In Hamburg kommen aktuell täglich bis zu 260 Flüchtlinge an (1-2016). Die Hamburger Kultur will Geflüchtete mit Herz und Kompetenz willkommen heißen. Mit Hilfe der Plattform Willkommenskultur Hamburg können sich Akteure und Unterstützer vernetzen, die kulturelle Angebote für Geflüchtete planen und organisieren – mit Infos zu Aktionen, Terminen, Förderstrukturen u.v.m. Die Website ist ein gemeinsames Projekt von STADTKULTUR HAMBURG, Dachverband für Lokale Kultur und Kulturelle Bildung, und der Landesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendkultur.
© Maik Schwertle, Pixelio
Web IV: Freies WLAN für Geflüchtete
Das Mobiltelefon ist für viele Geflüchtete oft die einzige Verbindung zu Angehörigen und Freunden in der Heimat. Umso wichtiger ist ein guter Internetzugang in den Unterkünften. Die Initiative Freifunk versorgt Geflüchtete in verschiedenen deutschen Städten per WLAN mit einem Internetzugang. Die Kosten werden meist aus Spenden finanziert. Die Freifunker installieren die WLAN-Infrastruktur und versorgen ganze Einrichtungen mit Netz. Die Mitglieder von Freifunk engagieren sich seit Jahren für offene Funknetze.
Web V: Internet-Portal mit Aktionen und Filmberichten über Flüchtlingsfragen
Videojournalist und Toningenieur Björn Kempcke hat ehrenamtlich Geflüchtete, deren Helfer und Politiker in Neu Wulmstorf bei Hamburg befragt – für das Regionalportal Bei uns in Neu Wulmstorf. Der Film entstand in Kooperation mit Portalgründerin Sylvia Karasch, dem Silberfuchs-Verlag und dem SEO-Berater Hannes Wirtz.
„Hauptdarsteller“ dieses Filmprojekts sind u. a. Majid Shuqer, der aus Syrien flüchtete und seit einem Jahr in Deutschland lebt, Dr. Constanze Hock-Warmuth, Leiterin des Mehrgenerationenhauses COURAGE in Neu Wulmstorf, die das Flüchtlingsnetzwerk Willkommen in Neu Wulmstorf mit ins Leben gerufen hat, sowie Thomas Grambow, 1. stellv. Bürgermeister der Gemeinde. Björn Kempcke, der auch als Schlagzeuger in verschiedenen Musikprojekten aktiv ist, organisiert aktuell ein großes Benefizkonzert, zu dem Geflüchtete und Einheimische eingeladen sind.
© Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Web VI: Community-Platttform Online und Offline-Plattform
HiMate ist eine kostenlose Plattform und Community, die vor allem in Berlin Geflüchtete und alteingessenene Bürger vernetzt und vor allem durch gemeinsames Erlebnisse verbindet, wie z. B. durch Koch- und Grillabende, bei Fußballturnieren und Filmabenden. „Newcomer“ und „Locals“ können sich auf diese Weise ungezwungen besser kennenlernen. HiMate bietet als Plattform auch Gutscheine für Kultur-, Sport- und Freizeitveranstaltungen und kooperieren dafür mit über 60 Unternehmen aus der Region. Sie stellen einige Angebote für Geflüchtete und Bedürftige kostenlos zur Verfügung. Die Nutzer sollen sich so auf Augenhöhe begegnen und die üblichen Rollen „Geflüchtete“ / „Helfer“ überwinden. Viele Teilnehmer lernen sich erst bei den Veranstaltungen von HiMate kennen. Andere verabreden sich über die Facebook-Seite.
Mobile I: App „Ankommen“ soll Geflüchteten helfen
Mit der umfangreichen App Ankommen sollen Geflüchtete Unterstützung beim Einleben in Deutschland erhalten. Der Wegbegleiter dient der schnellen Orientierung und ist auf die Lebensbedürfnisse der Geflüchteten während der ersten Wochen zugeschnitten: Was muss ich beim Asylverfahren beachten? Wie finde ich Arbeit? Wann muss mein Kind zur Schule? Für das Absolvieren des Sprachkurses und das Lesen der Informationstexte wird der Nutzer mit kleinen runden Plaketten (badges) belohnt. Das kostenfreie Angebot wurde für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom Bayerischen Rundfunk und vom Goethe-Institut entwickelt, derzeit auf Arabisch, Farsi, Deutsch, Französisch und Englisch.
Mobile II: App für Spenden
Der Münchner Fotograf Rüdiger Trost hat die App helphelp2 initiiert, die Organisationen mit Menschen zusammen bringt und dabei unterstützt, genau mit den Spenden zu helfen, die gebraucht zu werden. Startet man die App, sieht man die Annahmestellen für Spenden in seiner Gegend und was dort aktuell gebraucht wird. Möchte man etwas Gutes tun, startet man während seines Einkaufs die App, kauft benötigte Produkte ein und bringt sie an den angezeigten Standort der Spendenannahme. Organisationen können tagesaktuell hinterlegen, welche Spenden gebraucht werden. Zusätzlich wird angezeigt, wo man welche Spenden zu welchen Uhrzeiten abgeben kann.
© Iconary
Mobile III: App als Bildwörterbuch
Wo Sprache (noch) fehlt, können Bilder Brücken bauen. Iconary ist eine einfache Sprach-App, mit der Geflüchtete die allerersten Basis-Vokabeln für den Alltag erlernen können. Als reines Bildwörterbuch basiert die App auf Zeichen bzw. Symbolen, die mit echten Audio-Sprachaufnahmen verknüpft sind. So können sich die Nutzer die einzelnen Begriffe „vorsprechen lassen“. Die erste Version bietet rund 300 Begriffe in 10 Kategorien, wie Zahlen, Farben, Transport, Lebensmittel, in fünf Sprachen: deutsch, englisch, spanisch, italienisch, französisch. iconary ist kostenlos, werbefrei und offline nutzbar sowie verfügbar für Android und iOS. Die App wurde in einem ehrenamtlichen Team in Bremen ohne Budget realisiert.
Games – analog: Wissen auf dem Lernteppich
Der Lernteppich EduCarpet Lingo bietet auf einer Fläche von 3 x 1 Meter viel Spielfreude. Er erleichtert Geflüchteten das Erlernen der deutschen Sprache, garantiert Lernen mit Geist und Geschicklichkeit und berücksichtigt sowohl sprachpädagogische Aspekte als auch Geschicklichkeitselemente. der Lernteppich wird in Gruppen unter Beteiligung einer Lehrkraft bespielt. Unterschiedliche Buchstaben, Wort- und Bildarten lassen auf dem EduCarpet immer neue Spiel- und Lernwelten entstehen. 15 Zielplatten aus weißem Plexiglas können beliebig beschriftet bzw. zum Aufkleben von Bildern und Symbolen genutzt werden. Wurfbälle aus Stoff motivieren zur Bewegung. Der EduCarpet wurde vom PIAGET Institute in Nürnberg in Zusammenarbeit mit der Beruflichen Schule 5 Nürnberg und dem Verband SpieleGilde entwickelt.
Games – digital: Exkurs Schweiz
Das engagierte Entwicklerstudio aus der Schweiz Blindflugstudios hat ein serious game entwickelt, das die Sorgen und Nöte von Geflüchteten nachvollziehbar und nachfühlbar macht. Beim Tablet-Spiel Cloud Chaser spielt der User die Flucht eines Vater mit seiner kleinen Tochter durch die Wüste nach. Mit den beiden Protagonisten Francisco und Amelia durchlebt man den gefahrvollen Weg und ihre ständige Angst vor dem Tod unmittelbar mit. „Cloud Chaser“ erzählt vom Traum zweier Menschen, in einem entfernten Land besser zu leben. Es sensiblisiert für die Situation von Menschen auf der Flucht.
Reihe: Hilfe für Geflüchtete – Ideen und Impulse aus der Kreativbranche
Teil 1. Prolog: Hilfe aus der Kreativbranche für Geflüchtete
Teil 2. Theater: Neue Heimat auf der Bühne
Teil 3. Musik: Bridges – Musik verbindet
Teil 4. Museum: Mit Kunst gegen den Hass
Teil 5. Kunst: Geschichten aus dem Automaten
Teil 6. Architektur: „Instant Home“ mit Origami-Technik
Teil 7. Web, Apps, Games: Flucht als Selbsterfahrung
Teil 8. Kreatives für Geflüchtete: Kochen, Gärtnern, Flashmobs
Teil 9. Kulturarbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen
Teil 10. Medien für Geflüchtete: Ankommen und Lernen
Teil 11. Bürgeridee: Schulungsprogramme über Monitore für Geflüchtete
Teil 12. Nachlese: Kreative Ideen für Geflüchtete aus der Community
Aufruf: Noch mehr kreative Ideen für Geflüchtete gesucht!
Was können Künstler für Geflüchtete tun? In meinem Blog MassivKreativ stelle ich engagierte und nützliche Projekte von Kreativschaffenden vor. Die Liste der guten Beispiele soll weiter wachsen und anderen Mut machen, die ebenfalls Aktivitäten planen! Wenn Sie weitere kreative Projekten für Geflüchtete kennen, die ich bislang nicht erwähnt habe, schicken Sie mir gerne Ihre Infos. Ich sammle sie und berichte in einem neuen Artikel über weitere innovative Projekte. Infos bitte an mich: kreativ(at)massivkreativ.de