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Zukunftswerkstatt in der Gemeinde Plate

„Die Zukunft kann man am besten voraussagen, wenn man sie selbst gestaltet.“

Alan Kay, US-amerikanischer Informatiker


Eine Zukunftswerkstatt ist ein sinnstiftendes Austausch-Format, eine Veranstaltung zur Teilhabe von Bürger:innen und eine Plattform für Demokratie und Selbstwirksamkeit. Es geht darum, neue Ideen und Perspektiven zu entwickeln und sie in die Tat umzusetzen. Eine Zukunftswerkstatt ist ein Ort für Impulse und Wandel, für Inspiration und Transformation in Organisationen und Institutionen, in Kommunen, Gemeinden und Dörfern. Vom Herbst 2022 bis zum Sommer 2023 habe ich in der Gemeinde Plate in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt fünf Zukunftswerkstätten als Moderatorin und Prozessbegleiterin konzipiert und geleitet – im Auftrag der Johanniter und in Kooperation mit der Gemeinde. Im folgenden Werkstattbericht gebe ich Einblicke in die Vorbereitungen und Treffen, in Etappen und Meilensteine, in Umsetzung und Ergebnisse. Auch Rückschläge und Erkenntnisse werden nicht ausgelassen. Ich hoffe, dass Sie durch meinen Bericht ermutigt werden, eigene Zukunftswerkstätten in Ihrem Umfeld ins Leben zu rufen und umzusetzen.

Chancen

Eine Zukunftswerkstatt bietet eine besondere Form der Bürgerbeteiligung. Bewohner:innen können gemeinsam Ideen für ihre Gemeinde entwickeln: für das Zusammenleben, für den Zusammenhalt der Generationen, für die Daseinsvorsorge, für Themen wie Mobilität und Energie. Bewohner:innen können durch den Austausch enger zusammenrücken,  gemeinsame Vorhaben für ihren Ort entwickeln und so Gegenwart und Zukunft ihrer Gemeinde aktiv mitgestalten. Die Chance zur Teilhabe stärkt die Selbstwirksamkeit, das Vertrauen in kommunale Politik und vor allem die Zusammenarbeit und das Miteinander der Bewohner:innen in der Gemeinde. Selbstwirksamkeit wirkt der Politikverdrossenheit entgegen bzw. beugt ihr vor. Viele Gemeinden und Kommunen haben mit knappen Budgets zu kämpfen. Wenn Strukturen vor Ort wegbrechen, sind Bürger:innen vielerorts entmutigt, finden sich mit Mangel ab und resignieren. Zukunftswerkstätten können neue Impulse geben, um Ideen, Talente und Fähigkeiten der Bewohner:innen neu zu mobilisieren.

Rahmenbedingungen

Plate ist mit etwa 3.300 Einwohnern eine der größten Dorfgemeinden in Mecklenburg-Vorpommern. Es gibt drei Ortsteilen: Plate, Consrade und Peckatel. Die Bevölkerung wird zunehmend älter, durch Zuzug junger Familien bleibt die Einwohnerzahl stabil. Die Strukturen vor Ort sind gut: es gibt Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, einen Regionalbahnhof, Busverbindungen und eine Grundschule mit jeweils drei Schulklassen in den Klassenstufen 1-4. Plate liegt idyllisch im Landschaftsschutzgebiet Lewitz etwa 8 Kilometer südöstlich von Schwerin entfernt und bietet zahlreiche Freizeitmöglichkeiten in der Natur. Plate hat eine vielfältige Vereinskultur: Sportverein, Schützenverein, Jugendförder- und Kulturverein, PCP Kids, Angel- und Naturfreunde, Schulförderverein, Skatclub “Die Störbuben” und die Freunde der Feuerwehr Plate, sie alle sorgen für ein reiches Gemeindeleben, ebenso die Kirchengemeinde mit ihrer Pfarrscheune.

Pfarrscheune Plate © MassivKreativ

Herausforderungen in Plate

Bürgermeister Ronald Radscheidt sieht im Herbst 2022 dennoch Luft nach oben. Er möchte in Plate den Zusammenhalt zwischen den Generationen stärken – mit gemeinsamen Projekten und Vorhaben, mit Gemeindefesten und wünscht sich spezielle Angebote für Jugendliche. Das Problem: Im Zuge der Wende wurden Oberschule und Jugendclub in Plate geschlossen. Ältere Schüler:innen besuchen weiterführende Schulen im Umfeld, ohne nach der Schule am Heimatort einen Treffpunkt zu haben. Ein Mangel, der in der Vergangenheit dazu führte, dass Jugendliche aus Langeweile Sachbeschädigung verursachten. Mit Unterstützung der Johanniter, die in Plate eine Tagespflege betreiben, entstand die Idee für eine Reihe von Zukunftswerkstätten, die die Wünsche von Jung und Alt offen diskutieren und berücksichtigen sollten.

Vertrauen durch VorläUferproJekt

Basis für die Zukunftswerkstätten war meine Zusammenarbeit mit der Gemeinde im vorangegangenen Projekt Dialog der Generationen 2021/22 im Programm MITEINANDER REDEN der Bundeszentrale für politische Bildung. Am Ende dieses Vorhabens entstand der Wunsch, den Austausch zwischen Jung und Alt nachhaltig weiterzuführen. Projektpartner wurden erneut die Johanniter. Sie beauftragten mich mit der Konzeption der Zukunftswerkstätten. Ab Oktober 2022 übernahm ich auch die Beratung, Moderation und Leitung. Bürgermeister Ronald Radscheidt war von Anfang an eng in die Planungen eingebunden und mit großem persönlichem Engagement dabei, ebenso Iris Reckling, Projektleiterin der Johanniter in Plate im Programm „Miteinander- Gemeinschaft gestalten“. Flankiert werden die Zukunftswerkstätten von einem regelmäßig stattfindenden „Runden Tisch“ mit allen Vereinen unter Iris Recklings Leitung, um den gemeinsamen Austausch zu intensivieren.

FINANZIERUNG

Die Zukunftswerkstätten sind Teil des Projektes „Miteinander – Gemeinschaft gestalten“. Es wird im Rahmen des Programms Stärkung der Teilhabe älterer Menschen – gegen Einsamkeit und soziale Isolation durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert. Die Antragstellung übernahm Fritz Penserot, Fundraiser bei der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V., Landesverband Nord, unterstützt von seinem Kollegen Henning Janssen. Beide sind aktiv in die Zukunftswerkstätten involviert, übernehmen die Pressearbeit und stehen auch für Sonderfragen zur Verfügung, etwa wie sich die Versicherung von Teilnehmer:innen bei Veranstaltungen und Ausflügen regeln lässt.

Strukturen und Raumbedarf

Ein häufig wiederkehrender Wunsch der Bewohner:innen in Plate ist es, eine Bestandsaufnahme der Treffpunkte und Räume in der Gemeinde vorzunehmen und ein transparentes, unkompliziertes und möglichst automatisiertes Buchungssystem zu schaffen. Beispiele gibt es bereits in anderen Gemeinden, davon lässt sich lernen:

1. Gemeinde-Bus, Räume und Spielgeräte online buchen in der Gemeinde Röttenbach bei Erlangen
2. Bürgerbudget für neue Ideen in Fürstenwalde in Brandenburg
3. Bürgergenossenschaften allgemein
4. Bürgerfonds zur Rettung für historische Gebäude über Bürgerfonds
5. Blockparlament Schwerin

Varianten für den Ablauf

Eine Zukunftswerkstatt besteht grundsätzlich aus drei Phasen bzw. Etappen:
1: Kritikerphase = Bestandsaufnahme
2: Fantasie-/Utopiephase = Ideensuche & Ideenfindung
3: Verwirklichungsphase = Umsetzung der Ideen

Ob die drei Phasen kompakt an einem Tag, an einem Wochenende oder an mehreren Tagen durchlaufen werden, sollte jeweils mit den Akteur:innen vor Ort besprochen und im Einvernehmen geklärt werden. Jede Variante hat ihre Vor- und Nachteile:
a) Kompakte Veranstaltungen sind durch ihre Länge anstrengend bzw. schließen Teilnehmer:innen komplett aus, wenn sie diesen speziellen Termin nicht wahrnehmen können.
b) Mehrere aufeinanderfolgende Veranstaltungen bergen die Herausforderung, die Energie und Motivation der Teilnehmer:innen trotz der Pausen aufrecht zu erhalten. Nicht jeder kann an allen Treffen teilnehmen, von Termin zu Termin können Teilnehmer:innen wechseln, neu hinzukommen. Als Moderatorin war es für mich eine wichtige Aufgabe, neue Mitstreiter:innen in schon bestehende Gruppe zu integrieren bzw. ihnen Raum zu geben, eine eigene bzw. neue Themengruppe zu bilden.

alle Generationen in Plate vereint in der Zukunftswerkstatt © MassivKreativ

MoDERATIONsmethoden

Als ehemalige ARD-Rundfunkjournalistin, Moderatorin von Tagungen und Konferenzen sowie als erfahrene Workshopleiterin setze ich in einer Zukunftswerkstatt vielfältige Moderationsmethoden ein, je nach gewünschten Zielen. In der Ankunftsphase nutze ich gerne Methoden und Fragen, um die Teilnehmer:innen bei bekannten Erfahrungen und ihren Alltagsrealitäten abzuholen. Zum Warmwerden hilft es, wenn sich die Teilnehmer:innen besser kennenlernen und mehr übereinander erfahren. Dafür nutze ich Methoden der Liberating Structures und/oder eine soziometrische Aufstellung: Ich richte Fragen an die Teilnehmer:innen und bitte sie, sich für alle sichtbar im Raum zu positionieren. Beispielfrage 1: Wer ist in der Gemeinde aufgewachsen, wer ist neu hinzugezogen, wer ist zurückgekehrt? Beispielfrage 2: Wie schätzt Ihr Zusammenhalt und Miteinander in der Gemeinde ein – nach Schulnoten von 1-6.

Dynamic Facilitation

Alle Teilnehmer:innen erhalten nacheinander die Möglichkeit, ihre Wahrnehmungen, Erfahrungen, Meinungen und Bedenken öffentlich auszusprechen, während die anderen zuhören. Meine Rolle besteht darin, durch Nachfragen mehr Informationen zu erhalten, das Gehörte empathisch zu paraphrasieren bzw. zu spiegeln. Wie kann das Problem als Frage gestellt werden? Was ist ihre Lösung? Was sind Ihre Bedenken? Was befürchten Sie? Erzählen Sie mir mehr! Mit der Methode Dynamic Facilitation (DF) finden die Bewohner:innen am Ende des Prozesses selbst eine Lösung auf eine konkrete Fragestellung. Dynamic Facilitation ist dann die richtige Methode, wenn die Beteiligten ein echtes Interesse haben, ein komplexes Thema gemeinsam zu lösen und es keine einfachen Lösungen dafür gibt.

Es ist sehr wichtig, eine präzise Frage zu formulieren, die das Problem bzw. die Herausforderung verständlich in Worte fasst, z. B. Wie gelingt es uns in Plate, mehr Zusammenhalt zwischen den Generationen herzustellen? Dynamic Facilitation zeichnet sich dadurch aus, dass alle Sprechbeiträge der Bewohner:innen von Anfang an von mir als Moderatorin auf vier Pinnwänden festgehalten und dabei strukturiert werden – in:
1: Probleme und Herausforderungen
2: Informationen und Sichtweisen
3: Bedenken und Einwände
4: Ideen und Lösungen

Dynamic Facilitation wird zum Beispiel auch im Rahmen von Bürgerräten verwendet, um allen Teilnehmer:innen einen gemeinsamen Denkraum zu eröffnen und die Weisheit der Vielen (Wisdom Council) zu nutzen. Die Teilnehmer:innen finden gemeinsam Vorschläge und Lösungen, ohne dass sie von oben verordnet werden. Wichtig ist es, alle Ergebnisse aus den Workshops zusammenzufassen, ggf. zu priorisieren und in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die bislang Unbeteiligten haben nochmals die Möglichkeit, weitere Aspekte zur Sprache zu bringen und in die Diskussion neu einzuführen. Wenn die finalen Vorschläge in diesem erweiterten Gruppenprozess demokratisch ermittelt werden, steigert dies ihre Akzeptanz und Umsetzung.

Zielführende Fragen

Im Fokus meiner Moderation stehen zielgerichtete Fragen, die den Teilnehmer:innen Impulse geben nachzudenken, Vorschläge zu entwickeln, sie abzuwägen und Entscheidungen zu treffen. Als Moderatorin hinterfrage ich Standpunkte und Meinungen der Teilnehmer:innen und führen sie mit (Nach-)Fragen zu eigenen Lösungen. Fragenfitness und Zuhören sind dabei meine wichtigsten Kompetenzen. Um die Aufmerksamkeit der Teilnehmer:innen aufrechtzuerhalten, achte ich auf einen kurzweiligen, abwechslungsreichen Verlauf der Zukunftswerkstätten und setze auch kreative und spielerische Elemente ein, z. B. lasse ich die Teilnehmer:innen ihre Ideen mit Zeichnungen, Kurzgeschichten, Modellen oder Rollenspielen gestalten oder gebe den Impuls für ein gemeinsames, kreatives Kunstwerk.

Sonderformat: Zukunftskonferenz

Als Alternative zur Zukunftswerkstatt oder als Auftaktveranstaltung eignet sich auch eine ein- bis dreitägige Zukunftskonferenz mit sechs Phasen. Das dient dazu, um Bewohner:innen inhaltlich und emotional abzuholen und sie von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft zu führen, Raum für Wissen, Standpunkte, Meinungen, Dialoge und Gespräche zu geben, gemeinsame Interessen und Bedarfe zu eruieren und Gleichgesinnte in Arbeitsgruppen zusammenzuführen. Hier die 6 Phasen im Einzelnen:
1. Vergangenheit: Woher kommen wir?
2. Gegenwart – außen: Welche Entwicklungen kommen auf uns zu?
3. Gegenwart – innen: Was gelingt uns gut, was weniger?
4. Gemeinsame Zukunft: Was wollen wir erreichen?
5. Konsens über Ziele: Was wollen wir gemeinsam verantworten und erreichen?
6. Maßnahmenplanung: Was gehen wir an?

Ablauf in der Gemeinde Plate

In der Gemeinde Plate wurde die Entscheidung getroffen, die drei Startphasen der Zukunftswerkstatt an drei Samstagen jeweils von 10-14 Uhr stattfinden zu lassen – im Abstand von etwa vier Wochen. Um die Energie der Teilnehmer:innen in der Zwischenzeit aufrecht zu erhalten, erhielten die jeweiligen Gruppen „Hausaufgaben“, die sie bei den zwischenzeitlichen Treffen weiter bearbeiten sollten. Die Terminplanung muss stets in Absprache mit vielen Beteiligten der Gemeinde erfolgen, dabei müssen auch die Veranstaltungen der Vereine berücksichtigt werden, ebenso Ferienzeiten, Feiertage u. ä.

Einladung

Um möglichst viele Bewohner:innen zu erreichen, wurden verschiedene Kanäle mobilisiert. Am erfolgreichsten ist die Mund-zu-Mund-Propaganda bzw. persönliche Ansprache über Vertrauenspersonen. So suchte der Bürgermeister regelmäßig Vereinstreffen seiner Gemeinde auf, um die Bürger:innen direkt anzusprechen. Der Gemeinderat wurde über E-Mails informiert, ebenso der Bildungsausschuss sowie die Mitglieder:innen des Runden Tisches. Ein Handzettel wurde entworfen, gedruckt und von Iris Reckling in den Briefkästen verteilt bzw. an exponierten Orten platziert: Kindergarten, Schule, Feuerwehr, Gasthof, Kirche mit Pfarrscheune, Bushäuschen, Frisör usw. Durch diese Aktion kamen auch Neubürger:innen bzw. Zuzügler:innen, die erst seit kurzem in der Gemeinde leben und sich neue Kontakte erhoffen. Außerdem schickten Bürgermeister und Projektleiterin eine Pressemittelung an die Lokalzeitung SVZ, die mit einer Woche Vorlauf eine Ankündigung der Veranstaltung veröffentlichte.

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Hier ein weiterführender bzw. zusammenfassender Artikel zu den Zukunftswerkstätten in Plate 2022/23: So gelingt die Zukunftswerkstatt in der Gemeinde

Meine Referenzen: Moderation und Prozessbegleitung der Zukunftswerkstätten

Johanniter, Fritz Penserot sowie Gemeinde Plate, Bürgermeister Ronald Radscheidt

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