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Kreative Bürokratie: Bürgern mit gesundem Menschenverstand begegnen

Schon mal gehört? Geschichten über Beamte, die aus Frust weiße Blätter kopieren, nie ans Telefon gehen und ständig krank sind?! Doch es soll auch andere Staatsdiener geben, die im Behördendschungel mitdenken, nach kreativen Schlupflöchern suchen und uns Bürger mit gesundem Menschenverstand unterstützen.

Kreative Bürokratie

Damit es zukünftig mehr beherzte Beamte gibt und sie im Behördenalltag mehr Ermutigung und Methodik erfahren, fand erstmalig Anfang September 2018 in Berlin  das „Festival für Kreative Bürokratie“ statt –  das Creative Bureaucracy Festival. Der Begriff „Kreative Bürokratie “ entstand nach dem gleichlautenden Buch The Creative Bureaucracy von Charles Landry und Margie Caust. Es soll ein aktuelles Programm speziell für Beamte entwickelt werden. Das Programm soll dazu beitragen, dass Mitarbeiter aus der Verwaltung auf eine Vielzahl von Methoden und Werkzeugen zugreifen können, um neue Herausforderungen und Probleme zu lösen. Im Vordergrund steht dabei vor allem, den richtigen und motivierenden Umgang mit Mitarbeitern zu finden. Jeder – egal aus welcher Hierarchie – soll in Veränderungsprozessen mitgenommen werden: EntscheidungsträgerInnen ebenso wie MitarbeiterInnen auf Service-Ebene.

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Veränderungen durch kreativen Austausch

Beim Berliner Kongress kamen kreative Beamte mit Institutionen zusammen, die den öffentlichen Sektor bei der Realisierung von Innovationen unterstützen, außerdem Bürger, die den öffentlichen Sektor in Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mitgestalten und neugierige, offene Menschen der Zivilgesellschaft. Die Themen waren und sind vielfältig: Digitalisierung, Transparenz und Partizipation, Bildung, Gesundheit und Mobilität, Arbeit, Wohnen und Sicherheit. Mit gelungenen Praxisbeispielen wurden die Teilnehmer motiviert, anhand von Fehlern („Fuck Up Night“) konnten sie lernen. Die Erkenntnis: eine Bürokratie, die von uns Bürgern als willkürlich, undurchsichtig und gängelnd wahrgenommen wird, kann mit Geduld und Gestaltungswillen positiv verändert werden. Und zwar so, dass Verwaltung die freie Entfaltung der Bürger befördert und sie nicht in einem Dickicht an Vorschriften erstickt.

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Amt für unlösbare Aufgaben

Wie gelingt es nun konkret, Wertschätzung, Menschlichkeit und Humor in die Verwaltung hineinzutragen? Wie können Beamte zu einer verständlichen Sprache im Umgang mit unsBürgern finden? Diese Fragen haben sich vier Kreativschaffende gestellt und das Amt für unlösbare Aufgaben gegründet: Stadtentwickler Matthias Burgbacher, Designforscherin Andrea Augsten, Theaterregisseurin Leonie Pichler und Musikmanagerin Julia Wartmann. Mit Perspektivwechsel und einem Augenzwinkern wollen sie dem Alltag und den Vorurteile im öffentlichen Sektor begegnen, etwa so: „Das Gegenteil von Bürokratie ist Willkür.“  Matthias Burgbacher erklärt, dass man Bürokratie ja nicht abschaffen, sie aber auf jeden Fall freundlicher machen könne. Work in progress … Teilhabe verringert geistige Einbahnstraßen,  weckt Phantasie, Toleranz und erhöht die Akzeptanz von Entscheidungen, wie weitere Beispiele zeigen …

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Hamburg

Hamburg rief 2016 in Kooperation mit der HafenCity Universität und dem MediaLab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Beteiligungsprojekt
Finding Places zu 34 Workshops auf. An einem interaktiven Stadtmodell konnten Bürger geeignete Orte für neue Flüchtlingsunterkünfte benennen. Eine Bürgerbeteiligung mit Lerneffekt, denn vielen wurde zum ersten Mal bewusst, wieviele Bestimmungen und Vorschriften im städtischen Raum zu beachten sind.

Rostock

In Rostock übernahmen im September 2015 kurzerhand die Bürger das Ruder, als die Verwaltung mit den ankommenden Flüchtlingen überfordert war. Anfangs gab
es Widerwillen gegen das bürgerliche Engagement, dann doch Anerkennung von Senator Steffen Bockhahn für die kreativen Ideen: „Ohne die Zivilgesellschaft hätten wir es damals nicht geschafft.“ (Böttcher 2016) Akteure vom Verein „Rostock hilft“ und vom Kreativzentrum projekt:raum haben die Aktionen maßgeblich getragen, logistisch über digitale Einsatzlisten und Facebook organisiert und viele kreative Programme für Geflüchtete entwickelt, wie Kochen über den Tellerrand.

 © Rainer Sturm, Pixelio.de

Bonn

Im Viktoriakarree in Bonn stoppte ein Bürgerbegehren den Verkauf von Grundstücken an einen Investor, der dort eine Shopping-Mall bauen wollte. Daraufhin richtete das Künstlerteam CommunityArtWorks mit Daniel und Jennifer Hoernemann gemeinsam mit Architekten und Stadtentwicklern ein Bürger-Atelier in der Innenstadt ein. Dort begleitet CommunityArtWorks ein Bürgerbeteiligungsverfahren und schafft über künstlerisches Wahrnehmen, Denken und Handeln Raum für Kreativität und Fehlerkultur. Das Künstlerteam bearbeitet seit langem gesellschaftliche und unternehmerische Herausforderungen mit künstlerischen Methoden und Interventionen im öffentlichen Raum. Es greift mit dem „Büro für die Nutzung von Fehlern und Zufällen“ aktiv in Prozesse ein, fördert Kommunikation und Reflexion.

 © CommunityArtWorks

Dänemark

Im dänischen Kopenhagen haben Wirtschafts-, Finanz- und Justizministerium das Innovationslabor MindLab gegründet, das noch bis Ende 2018 aktiv ist. Die Mitarbeiter sollen den Alltag in der Metropole lebenswerter und kreativer machen. Sie begleiten Bürger bei Behördengängen und ermitteln deren Probleme beim Ausfüllen von Formularen. Sie hören den Bürgern zu und fragen direkt nach, was verbessert werden kann. 130 Projekte haben die Vordenker landesweit angestoßen, in den Bereichen Mobilität, Bildung und Wissensmanagement, bei der Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt und der Müllvermeidung: Grüne Fußabdrücke auf Bürgersteigen, die den Weg zu Mülleimern zeigen, halfen dabei, den Abfall auf Straßen um beachtliche 40 Prozent zu reduzieren.

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Großbritannien

Regierungen engagieren immer häufiger „Mitarbeiter für Verhaltenseinblicke“, um mit der Nudge-Methode das Verhalten der Bürger auf vorhersagbare Weise zu beeinflussen (vgl. Richard H. Thaler/Cass R. Sunstein: Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt. 2017, S. 26-27), „The Behavioural Insights Teams“ agieren abseits von Verboten, Geboten oder ökonomischen Anreizen. Die US-amerikanische Regierung testete dies 2008 unter Barack Obama, die britische Regierung 2010 unter David Cameron und ebenso die Bundesregierung unter Angela Merkel. Die vom Staat eingesetzten Psychologen sollen Bürger mit kleinen „Anstupsern“ animieren, sich besser zu verhalten: Energie zu sparen, Steuern zu zahlen, für das Alter vorzusorgen, sich gesünder zu ernähren. Die Briten gehen derzeit der Frage nach, wie sich Gewissenhaftigkeit, Verantwortung, Motivation, Kreativität und Offenheit am besten unterstützen lassen.

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Österreich und Schweiz

In Österreich erarbeiten Akteure aus Verwaltung, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft im GovLab übergreifende Lösungsansätze. Die Erkenntnisse werden über Prototypen an andere Bürger weitergegeben. In der Schweiz unterstützt das gemeinnützige Staatslabor die öffentliche Verwaltung mit innovativen Lösungen. In die Modellprojekte sollen Bevölkerungsgruppen eingebunden werden, die in der Schweiz nicht über Stimm- und Wahlrecht verfügen.

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