© Angelina Ströbel, Pixelio.de 

Warum wir für unser Handeln Geschichten und Visionen brauchen

Die meisten von uns wollen Teil von etwas Großem sein. Das zeigen aktuell viele engagierte Jugendliche, Wissenschaftler und weitere Unterstützer in der Fridays for FutureBewegung. Wir sehnen uns danach, etwas Sinnstiftendes zu tun oder daran mitzuwirken. Unsere Motivation wächst, wenn wir uns vorstellen, wie bzw. wie viel besser unser Leben in Zukunft aussehen könnte. Dabei helfen uns neben sachlichen Fakten (z. B. gegen das Ignorieren des Klimawandels) gerade auch Utopien und Geschichten, die unsere Vorstellungskraft wecken und unser Handeln beflügeln.

Status Quo überprüfen

Kreative Ideen entstehen, wenn wir unsere Gegenwart auf den Prüfstein stellen. Unsere Unzufriedenheit mit Bestehendem ist der Treibstoff für Veränderungen, für neue Erfindungen, (Kunst-)Werke und Geschäftsmodelle. Wenn wir unsere Ideen als Geschichten in die Welt hinaustragen, fordern wir andere zur Auseinandersetzung auf. Wie ist es heute? Wie können wir es in Zukunft besser machen? Bevor realen Projekte zum Schutz unserer Meere starten konnten, hatten junge Menschen einen Traum: Das Meer vom Müll zu befreien. Sie beobachteten das Meer, entwickelten Pläne, träumten „Was wäre wenn…? und formulierten ihren Traum in der Öffentlichkeit. Viele Meeresvisionäre gingen so vor, u. a.  The Ocean Clean UpThe Seabin ProjectHealthy Seas, die Seekuh vom Verein One Earth – One Ocean, „Fishing for Litter“ von KIMO  und dem deutschen NABU sowie Pacific Garbage Screening (PGS) von der deutschen Architektin Marcella Hansch.

 © Pacific Garbage Screening – schwimmende Plattform zur Müllentnahme

Keimzellen für Storytelling und gute Geschichten

Was die Genres Buch, Film, Theater, Oper, Game mit Popularität nährt, macht als „Superfood“ auch Marken, Produkte, Unternehmen und Entrepreneure gewichtiger. Wir brauchen kreative Geschichten, um unser komplexes Leben kritisch zu betrachten, um Position zu beziehen, unser Tun zu reflektieren und uns zu identifizieren. Storytelling heißt es neudeutsch.

 © Stephanie Hofschlaeger, Pixelio.de 

Vorausdenken

Aus Zeiten nüchterner Realpolitik stammt das Zitat von Helmut Schmidt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“(Schmidt 2010). Eine glatte Fehleinschätzung! Visionen sind keine Krankheit, sondern die Kunst, das vorauszusehen, was andere noch nicht sehen. Visionen  zeigen uns unsere Wünsche, wie wir künftig leben wollen. Wir begreifen, was einmal sein kann. Indem wir unsere Visionen in Geschichten verpacken und weitererzählen, ermutigen wir uns zum Engagement! Geschichten motivieren uns, verleihen uns Flügel, in kleinen Projekten und großen Prozessen. Politik und Wirtschaft, Bildung und Kultur können davon enorm profitieren, im Sinne von Joseph Beuys: „Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden, sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen.“

Zukunftsentwürfe

Pablo Picasso sagte einmal: „Alles, was Du Dir vorstellen kannst, ist real.“ In diesem Sinne spornte John F. Kennedy 1961 eine ganze Nation an, „Wir haben uns entschlossen, einen Menschen zum Mond zu schicken und ihn wieder sicher zur Erde zurück zu bringen.“ (Kennedy 1961).“ Eine klare Botschaft, eine Geschichte mit einem Ziel, das Vorfreude auf die Zukunft weckt. „Geschichten sind das stärkste Medium der Menschheitsgeschichte“ (Welzer 2016), bestätigt der Soziologe Harald Welzer.

Narrative

Für den Entwurf einer lebenswerten Zukunft suchen viele in diesen Tagen nach passenden Geschichten, nach „Narrativen“. Das sind gesellschaftliche Erzählungen, die Sinn vermitteln, Realität erklären, Orientierung bieten. Narrative sind identitätsstiftend bzw. sollen so wirken. Sie beschreiben Gesellschaft und formen sie auch. Der Begriff Narrativ stammt aus der Soziologie.

Motor für unsere Motivation

Geschichten wirken auf Hirn und Herz, sprechen uns rational an und binden auch unsere Emotionen und unsere Ethik ein. Visionäre Geschichten befähigen uns, nicht nur in kurzatmigen Wahlperioden zu denken, sondern unsere Zukunft nachhaltig zu planen, über das Hier und Jetzt hinauszuwachsen. Sie helfen uns dabei, Durststrecken zu überstehen, Rückschläge und Widerstände zu überwinden.

Was man sich nicht vorstellen kann, wird vermutlich nicht eintreten: „Man springt nur so weit, wie man im Kopf schon ist“, erklärt Skisprung-Weltmeister Jens Weißflog den Zusammenhang. Kein Spitzensportler oder Spitzenmusiker könnte das Über-Sich-Hinauswachsen und das kräftezehrende Trainings- und Übungsprogramm bewältigen, wenn er nicht das zukünftige Glücksgefühl auf dem Siegerpodest vor Augen oder den Publikumsapplaus im Ohr hätte. Eine Kraft, die uns enormen Antrieb und Halt geben kann.

Geschichten des Gelingens von heute

Wir brauchen nicht nur Geschichten von der Zukunft. Wir brauchen auch Geschichten von heute, von bereits geglückten Projekten, die uns kleine Schritte auf dem Weg zur großen Vision zeigen, wie sie der konstruktive Journalismus zeigt, repräsentiert u. a. durch das enorm-Magazin, perspective daily, die Podcast-Reihe NDR Info Perspektiven, das Futurzwei-Magazin und TRAFO (machen, deuten, träumen) – der Zukunftsalmanach von Futurzwei. Jede Vision braucht einen konkreten Weg, ein Wie, auf welche Weise und mit welchen Aktivitäten wir eine menschliche und lebenswerte Gesellschaft gestalten können.

Die medialen Kanäle dürfen nicht von entmutigenden Fehlentwicklungen, Katastrophen und Tragödien verstopft werden. Es muss Raum bleiben für Geschichten über bereits gelungene Beispiele und Modelle einer friedlichen, gerechten und offenen Gesellschaft mit Gemeinwohl und Demokratie, mit Chancengerechtigkeit, und Naturschutz und eingepreisten Umweltkosten in ökonomischen Kalkulationen. Dafür brauchen wir Kreativität, Gestaltungswillen und Vorbilder, Freiheit und Mut.

 © Uta Thien Seitz, Pixelio.de 

Geschichten als Staatsaufgabe

„Geschichten brauchen keine Fakten, um wirkungsvoll zu sein, aber Fakten brauchen Geschichten, damit sie einen Sinn ergeben“ (und bei den Menschen ankommen), sagt Per Grankvist. Schweden hat als erstes Land einen hauptamtlichen Geschichtenerzähler engagiert, den Journalisten und Sachbuchautor Per Grankvist. Er zeigt mit Geschichten der Gegenwart,  dass es schon heute genügend Beispiele dafür gibt, wie Menschen nachhaltig leben und sich für das Allgemeinwohl einsetzen. Grankvist rückt die stillen Alltagshelden ins Blickfeld, die nicht so populär und medienpräsent sind wie Greta Thunberg, aber täglich beweisen, dass Nachhaltigkeit nicht nur Verzicht bedeuten muss, sondern einen Gewinn an Lebensqualität. Er berichtet über jene Menschen, die bereits heute klimaneutral leben.

Mit dem strategischen Innovationsprogramm Viable Cities sollen neun schwedische Städte umgestaltet und bis 2030 klimaneutral werden. Die schwedische Regierung investiert in das Programm ein Budget von 100 Millionen Euro und hat dafür mehr als 200 Partner mit an Bord geholt. Der Verbund aus Städten, Unternehmen, Hochschulen, Forschungsinstituten und Zivilgesellschaft soll wie ein Katalysator wirken, um Wissen für intelligente nachhaltige Städte zu entwickeln und zu nutzen. Viable Cities läuft von 2017-2029, die erste Phase bis 2020 wird von Vinnova unterstützt, dem schwedischen Forschungsrat Formas und der schwedischen Energieagentur, die Gastgeberorganisation ist die KTH, die Königliche Technische Hochschule in Stockholm.

Agieren oder reagieren

Fragen wir uns also selbst, was wir wollen: agieren oder reagieren? Wollen wir Spielmacher sein oder Spielball? Wollen wir unser Leben eigenständig formen oder fremdgesteuert und getrieben werden? Wie wir diese Frage beantworten, beeinflusst maßgeblich unsere Zufriedenheit und unser emotionales Wohl. Freiheit ist die Abwesenheit von Angst! Oder wie der große SciFi-Autor William Gibson einmal sagte: „Die Zukunft ist längst hiersie ist nur ungleich verteilt.“ 

Und wer prägt die Geschichten und Bilder unserer Heimat, vor allem die Zukunft in den ländlichen Regionen und den neuen Bundesländern? Davon erzähle ich in meinem nächsten Blogartikel.

Heimat(en) Teil 1: Ein wiederentdecktes Phänomen

Eine Antwort zu “Warum wir für unser Handeln Geschichten und Visionen brauchen”

  1. Daniel sagt:

    Inspirierender Text den ich fast komplett teile, den Menschen muss vor allem diese Tatsache bewusst werden, dass wir aktiv unsere Umwelt beeinflussen egal ob wir Spielball oder Spieler sind. Der Beitrag dazu ist bei jedem nur unterschiedlich groß.
    Die Fähigkeit der Selbstreflektion bringt uns denke ich, am meisten voran.

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