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Nackte Zahlen: Welche Schlagkraft hat Kultur versus Sport?

Über die qualitative Wirkung von Kultur haben Experten und Akteure viel geschrieben. Unzählige Studien* haben bewiesen, wie wichtig und nachhaltig Kultur auf die Persönlichkeitsbildung sowohl bei Kindern wirkt und ebenso auf die Potentialentfaltung bei Jugendlichen und Erwachsenen. Inzwischen beweisen selbst nackte Zahlen eindeutig: Kultur hat Schlagkraft und gesellschaftliche Relevanz, auch in ökonomischer Hinsicht.

Kultur bringt Wohlstand

2015 hat das Münchner ifo Institut für Wirtschaftsforschung dargelegt, dass sich im Umfeld von Opernhäusern mehr hochqualifizierte Arbeitnehmer ansiedeln als an Standorten ohne eine vergleichbare Kulturinstitution. Und nicht nur Eliten profitieren, stellte ifo fest: Übertragungseffekte erhöhen auch das Einkommensniveau insgesamt, wirken „positiv auf die Produktivität und damit das nominale Lohnniveau von ungelernten, qualifizierten und hochqualifizierten Arbeitnehmern.“

Kultur und Sport gleich auf

Dass Sport und vor allem Fußball in Deutschland die Massen begeistert, ist allgegenwärtig. Verschiedene statistische Erhebungen kommen unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, dass Kultur und Sport in der Gunst der Deutschen gleichauf liegen. Je nachdem, welche Statistiken man heranzieht und was man miteinander vergleicht: Mal hat der Sport und mal die Kultur die Nase vorn. Beide Lebenswelten zu Gegenspielern oder gar Konkurrenten zu erklären, ist wenig sinnvoll. Zumal es in der Kultursparte Musik „einige Datenlücken“ gibt, wie Statistische Bundesamt feststellt (S. 84f).

Gremien und Verbände sollten eher eine gemeinsame Studie in Auftrag geben, inwiefern Sport und Kultur sich gegenseitig befruchten. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten genutzt werden, um neue Akteure für den jeweils anderen Bereich zu gewinnen. Denn: Viele meiner Freunde und Bekannten oder deren Kinder sind sowohl sportlich als auch kulturell aktiv sind, so wie ich auch. So wie schon die Römer wussten: „Mens sana in corpore sano“ – „ein gesunder Geist (lebt) in einem gesunden Körper“. 

 © Christina Schmid, Pixelio.de 

Museum und Fußball

Verschiedene Rahmenbedingungen und Erhebungsverfahren erschweren es, die Zahlen gegeneinander aufzurechnen. Ein Vergleich lohnt dennoch: 

114 Millionen Deutsche besuchen jährlich eines der  6710 Museen in Deutschland laut Spartenbericht Museen 2017  (Zahlen von 2015).
19 Millionen Deutsche erleben in einem von 36 Profi-Stadien in Deutschland ein Fußballspiel live. Insgesamt gibt es etwa 108 Stadien mit mehr als 15.000 Plätzen.

 © Claudia Hautumm, Pixelio.de 

Fußball und Musik

Ein Vergleich von Besucherzahlen zwischen Profis der 1. Bundesliga und von beruflich betriebenen Konzerten der Deutschen Musik-, Theater- und Orchesterlandschaft bringt folgende Erkenntnis:

Rund 12,7 Millionen Fans besuchten laut DFB Spiele der ersten Bundesliga in der Saison 2016/17, in der 2. Liga waren es 6,6 Millionen, 1. und 2. Bundeliga zusammen: 19,3 Mill.

Über 18,2 Millionen Menschen besuchten in einer Saison Klassikkonzerte in Deutschland, wie das Statistische Bundesamt 2017 in seinen Spartenbericht Musik 2016 bilanzierte bzw. die Deutsche Orchestervereinigung DOV ausgerechnet hat (Quelle: Tagesspiegel

Der Deutsche Bühnenverein e. V. erhebt jährlich Daten von 142 öffentlichen Theatern, 130 Orchestern (inkl. der Rundfunkorchester), 225 Privattheatern sowie 76 Festspielen. Verbindet man alle Zahlen, setzte sich das Klassik-Publikum demnach folgendermaßen zusammen:

  1. 5,2 Mio. Menschen besuchten Klassikkonzerte der öffentlich finanzierten Orchester und Rundfunkklangkörper
  2. 5,4 Mio. Menschen hörten klassische Konzerte bei über 200 Musikfestivals im Klassiksegment, d. h. Konzert, Oper/Operette, Kirchenmusik. Insgesamt besuchten 32 Mio. Menschen über 500 Musikfestivals aller Stile und Sparten.
  3. 7,6 Mio. Besucher erlebten laut Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins eine Vorstellung aus Oper, Operette, Tanz und Musical in den Stadt- und Staatstheatern.

Musik und Fußball sind beim Live-Publikum gleichauf, wenn man berücksichtigt, dass beim Fußball Daten ab dritten Liga abwärts fehlen, ebenso wie bei der Sparte Musik Besucherzahlen für die unzählige Laienkonzerte in Kirchen, für die vielen musikpädagogischen Veranstaltungen in privaten und öffentlichen Musikschulen, Hochschulen und Universitäten sowie die Aufführungen von Projektorchestern gar nicht erhoben werden.

 © Kurt Michel, Pixelio.de 

Aktiv in Sport und Kultur

So viel zum Konsum. Auch bei der aktiven Beschäftigung der Bundesbürger sind Kultur und Sport gleichauf: Rund 9,5 Millionen Menschen, das sind etwa 13,5 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren, sollen regelmäßig in ihrer Freizeit beim instrumentalen Laienmusizieren aktiv sein, so die Ergebnisse der Verbrauchs- und Medienanalyse VuMA, die 2014 im Auftrag von ARD und ZDF beauftragt wurde. Andere Untersuchungen, wie die Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA), der Freizeit-Monitor der Stiftung für Zukunftsfragen und die Gesellschaft für Konsumforschung GfK kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Laut Musikinformationszentrum MIZ gab es 2013/14 rund 3,7 Millionen aktive und fördernde Mitglieder in den Instrumental- und Chorverbänden. Aktivitäten von Laien im Bereich Kunst, Tanz, Theater, Fotografie, Film wurden statistisch bisher nicht professionell erforscht.

 © Stefanie Hofschlaeger, Pixelio.de 

Vereine

Fast jeder zweite Bundesbürger ist Mitglied in einem von mehr als 600.000 Vereinen in Deutschland. Das hat der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft herausgefunden, der regelmäßig „Zivilgesellschaft in Zahlen“ erforscht und den ZiviZ-Survey 2017 in Auftrag gegeben hat. Es ist die einzige repräsentative Befragung von 6.300 gemeinnützige Organisationen, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Bertelsmann Stiftung, der Robert Bosch Stiftung und der Stiftung Mercator. Laut Studie beschäftigen sich zwei von drei Vereinen mit Sport, Kultur oder Freizeit.

Mit 91.000 Turn- und Sportvereinen ist der Bereich Sport mit etwa 22 Prozent der größte Organisationsbereich, knapp gefolgt vom Bereich Kultur und Bildung mit von 21,7 Prozent, hier sind Menschen in mehr als 130.000 Fördervereinen aktiv. Was Zivis ebenfalls herausfand: Je größer die Vereinsdichte umso größer sind auch der materielle Wohlstand und der Sozialindex in der Region.    

Fußballbund versus Musikrat

Der Deutsche Fußball-Bund DFB hat seit der Spielzeit 2016/2017 erstmals mehr als 7 Millionen Mitglieder. Doppelt so viele Menschen, nämlich 14 Millionen, verbindet der Deutsche Musikrat unter seinem Dach, ordentliche, beratende, fördernde und Ehrenmitglieder eingeschlossen.

Zum Vergleich: Die Gesamtmitgliederzahl aller deutschen Sportvereine lag im Jahr 2017 bei 23,8 Millionen. Organisiert wird der Sport in Deutschland in rund Laut Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände e.V. und Musikinformationszentrum MIZ gibt es in Deutschland 13.500 Musikvereine.

Widerspruch

2014 hat die Deutsche UNESCO-Kommission die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft auf die Liste des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO in Deutschland gesetzt. Im März 2018 wurde die Nominierung der Deutschen Theater- und Orchesterlandschaft bei der UNESCO für die internationale Listze eingereicht. Eine Entscheidung wird ab 2021 erwartet. Denn: Deutschland verfügt über die weltweit höchste Theaterdichte und eine der höchsten Orchesterdichten weltweit. Noch! Gerald Mertes, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung DOV, sieht die aktuelle Situation der Theater- und Orchesterlandschaft kritisch: „Gleichzeitig schrumpft dieser Schatz weiter. Dieser Widerspruch ist den Musikern und der Öffentlichkeit nicht vermittelbar. Viele Kollegen verzichten für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze immer noch auf einen Teil der ganz normalen Tarifbezahlung. Lohnverzicht ist aber keine Dauerlösung. Deshalb muss diese Lücke geschlossen werden.“ (Quelle: DOV)

Fußball trifft Kultur

Vor 10 Jahren hat die Litcam, die gemeinnützige Frankfurt Book Fair Literacy Campaign, die Initiative Fußball trifft Kultur ins Leben gerufen. Die DFL Stiftung ist seit 2012 bundesweite Kooperationspartnerin. Sie unterstützt das Projekt finanziell und beratend. Kernidee des Projektes: die Kombination aus Fußballtraining, Förderunterricht und kulturellen Aktivitäten. Es soll das soziale und kommunikative Verhalten der Kinder verbessern, ihre Motivation zum Lernen stärken und Interesse für kulturelle Themen. Neben Stadionbesuchen erleben die Kinder Ausflüge in Museen, Lesungen und Themenworkshops. Inzwischen gibt es 21 Projektgruppen an 14 Standorten, u. a. in Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Frankfurt, Gelsenkirchen, Hamburg, Herne, Mainz, Neuötting, Nürnberg, Stuttgart und Würzburg, zuletzt entstand ein neuer Standort in Köln. Das Projekt wurde mehrfach ausgezeichnet.

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Quellen und Statistische Erhebungen:

Spartenbericht Museen, Bibliotheken und Archive (2017)

Spartenbericht Musikfestivals und Musikfestspiele in Deutschland (2017)

Spartenbericht Musik (2016)

ifo-Studie: CESifo Working Paper No. 5183 von Oliver Falck, Michael Fritsch, Stephan Heblich und Anne Otto: Music in the Air: Estimating the Social Return to Cultural Amenities (2015)

* Studien zur Wirkungsweise von Kultur:

Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen, Rat kulturelle Bildung (2017)

Kunst und Gut, Publikation Arbeitskreis niedersächsischer Kulturverbände (akku) Hannover (2016)

Bildungsprozesse in Jugendkunstschulen und kulturpädagogischen Projekten (2015-2017): Die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Bildungsprozesse in der kulturellen Kinder- und Jugendarbeit (JuArt)“ der Universitäten Kassel und Marburg zeigen, dass kulturpädagogische Angebote nicht nur künstlerische Fähigkeiten vermitteln, sondern ebenso das soziale Selbstkonzept der befragten Kinder und Jugendlichen stärken und positiven Einfluss auf die Selbstwahrnehmung und auf Reflexions- und Kritikfähigkeit haben.

Kultur wirkt, mit Evaluation Außenbeziehungen nachhaltiger gestalten, Goethe-Institut (2016)

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