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Schauspieler in Doppelrolle: Lutz Herkenrath als Vortragsredner

Lutz Herkenrath ist ein Impulsgeber, der für Aha-Effekte sorgt. Er öffnet Menschen die Augen und inspiriert sie. Herkenrath liebt die Bühne. Nach etlichen Jahren im Theater und vor der Fernsehkamera wechselt er vor etwa 20 Jahren auf die Podiumsbühnen von Kongressen, Tagungen und Firmenveranstaltungen. Wie es dazu kam und welche Schnittmengen es gibt – zwischen der Tätigkeit als Schauspieler und Vortragsredner – hat er mir im Interview erzählt.

Redner-Klaviatur

Herkenrath ist ein erfahrener Profi auf der Bühne: Als Redner, neudeutsch „Keynote-Speaker“ genannt, zaubert er passend zum Inhalt ein vielfältiges Mienenspiel aus dem Hut. Mal lächelt er seinen Zuhörer:innen wohlwollend heiter entgegen, mal blickt er mahnend finster in den Zuschauerraum. Er setzt gekonnt Pointen und Pausen. Ein Bühnenexperte wie er lässt sich Zeit und kann Stille aushalten. „Es gibt nichts Schöneres, als gemeinsam zu schweigen und dabei in den Gesichtern zu sehen, dass der Groschen gefallen ist.“ Botschaft angekommen, Erkenntnisgewinn geglückt.

PODCAST-Interview mit Lutz Herkenrath

Kompetenzvermutung

„Wer von Euch ist mit seinem Zahnarzt zufrieden?“, fragt Herkenrath in den Saal hinein. Thema seines Vortrages: „Ich bin. Also wirke ich. Mit Charisma Menschen erreichen“. Viele Hände gehen hoch. „Ohne Euch zu nahe treten zu wollen: Das könnt Ihr gar nicht beurteilen.“ – Pause. Die Hirnsynapsen der Zuhörer:innen beginnen zu feuern. Wieso? Vielleicht weil ich von der Behandlung gar nichts sehen kann?! Oder weil ich selber kein Fachmann bin?! Hatte ich vorher noch nie drüber nachgedacht… Herkenrath fängt die Grübler rasch wieder ein: „Beurteilen kann das erst der Zahnarztkollege, der Euch vielleicht in 5 Jahren auf dem Stuhl hat und stöhnt: Sagen Sie mal, wer hat Ihnen denn diese Krone verpasst?“ Herkenrath erklärt weiter: „Und trotzdem gehen wir alle meist aus der Zahnarztpraxis raus und haben ein Gefühl dafür, ob dieser Mensch gut ist. Wir nennen das Kompetenzvermutung.“ Und das wenden wir alle nicht nur auf Zahnärzte an, ergänzt Herkenrath und überträgt den Spezialfall auf andere bekannte Lebensbereiche: „Wenn Ihr ein Haus baut, wisst Ihr erst hinterher, ob der Architekt gut war. Wenn Ihr einen Anlageberater fragt: Wohin mit meinem Reichtum? Dann werdet Ihr erst in ein paar Jahren wissen, ob seine Empfehlungen wirklich gut waren.“ Ob wir Vertrauen hätten oder nicht, habe wenig mit Kompetenz zu tun, es sei eine rein emotionale Entscheidung, so Herkenrath. Vor allem die Ausstrahlung einer Person führe dazu, ob wir ihr zustimmen oder nicht.

Ohne Emotionen ist alles nichts

Mit Genuss demonstriert Herkenrath seinen Zuhörer:innen, wie sehr wir alle von unseren Emotionen gesteuert werden. Dennoch glauben die meisten, stets rational zu handeln. Gefühl schlägt Vernunft, darüber hat schon der Finanzmathematiker und Risikoforscher Nassim Nicholas Taleb erhellende Bücher geschrieben, mit vielen psychologischen Beobachtungen von der Börse: „Black Swan“ und „Narren des Zufalls: Die unterschätzte Rolle des Zufalls in unserem Leben“. Wie wir zu unseren Verhaltensweisen finden, hat der Verhaltensökonom Daniel Kahnemann in seinem jüngsten Buch erklärt „Noise: Was unsere Entscheidungen verzerrt – und wie wir sie verbessern können“. Aufschlussreich ist auch die Publikation „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ von Cass R. Sunstein und Richard H. Thaler.

Lutz Herkenrath © Foto: felixmatthies.com

Humor

„Sein ironischer Witz ist das Salz in der Suppe“, wird Herkenrath von einem Teilnehmer gelobt. „Ironie und Augenzwinkern ja, aber nie Sarkasmus“, betont Herkenrath. In seinen Seminaren trägt er Sorge, dass es nie persönlich verletzend werde, weder von ihm selbst noch von anderen Teilnehmer:innen. Es gehe ihm stets um wertschätzende Einordnung. Er führe vor Augen, welche Gewohnheiten sich im Alltag in eigene Verhaltensmuster einschleichen, in welche Routinen wir verfallen. Herkenrath spricht offen über eigene Schwächen und Rückschläge. Genau das macht ihn nahbar, sympathisch und glaubwürdig. „Vor dem heutigen Vortrag hatte ich drei Stunden Zeit, hier durch die Kongress-Säle zu tigern und für Euch nervös zu werden.“ – Gelächter im Saal. „Dabei konnte ich in Eure Gesichter schauen und sehen, ob ihr angespannt oder entspannt seid. Ich stehe seit 30 Jahren auf der Bühne und trotzdem schlägt mir mein Herz hier oben bis zum Hals. Ihr meint: Es müsste doch irgendwann mal aufhören damit. Die traurige Wahrheit ist: Nein, es hört nicht auf. Das Einzige, was ich gelernt habe ist, mit dieser Angst umzugehen.“

Es sei im Grunde egal, ob man Angst vor einem Vortrag, einer Präsentation oder einem Bewerbungsgespräch habe. Es käme immer auf das Atmen an. „So und jetzt könnt Ihr nach Hause gehen, ich habe das Wichtigste gesagt.“ Wieder Lachen im Saal. Schnell schiebt Herkenrath nach, dass es viel Übung brauche, um diese Erkenntnis auch wirklich „in die Zellen zu kriegen. „Wissen ist gar nichts, nur der Trostpreis.“ Jeder merkt: Auf der Bühne ist Herkenrath in seinem Element. Damit sich Kopf und Körper verbinden können, schnürt Herkenrath seine Vorträge und Seminare zu ganzheitlich durchdachten Power-Paketen zusammen.

Durchdenken und Erspüren

Seine Vorträge gibt es als Ouvertüre, als Prolog, als warm-up. Herkenrath exponiert das Impulsthema und kombiniert es mit verschiedenen Nebenmotiven und Schauplätzen. Die meisten sind bekannt, so dass jeder auf seine Weise daran anknüpfen kann.
In seinen Seminaren geht es dann im Grunde zu wie in den drei Akten auf einer Opern- bzw. Schauspielbühne. Herkenrath lässt seine Schützlinge die Motive und Szenarien noch einmal selbst durchspielen. Dabei ermutigt er sie, dass schon eine kleine Korrektur ausreiche, um die eigene Ausstrahlung zu verbessern. Wichtige Voraussetzung: Er und sie müsse offen dafür sein, eigene wunde Punkte und Verhaltensmuster zu erkennen. Nur dann könne man sie unterlassen und am eigenen Charisma feilen: „Verspannung wirkt abstoßend, Entspannung anziehend.“ Was nun folgen müsse? Üben, üben, üben.

Praxisnah

Treffende Beispiele für seine Vorträge findet Herkenrath mitten im Leben. Die Zuhörer:innen können seine Inhalte mit eigenen Erfahrungen abgleichen, verknüpfen und sich dazu positionieren. „Der hat ja recht!“ Oder: „Das sehe ich ganz anders.“ Mal setzt Herkenrath beim Publikum auf Zustimmung, ein anderes Mal bewusst auf Provokation. Das sichert ihm die volle Aufmerksamkeit, seine Zuhörer bleiben bei der Stange. Herkenrath gesteht augenzwinkernd und auch ein wenig selbstkritisch, er sei ein „Feedback-Junkie“. Als viele seiner Aufträge und Vorträge wegen Covid abgesagt wurden, habe er sich schon gefragt. „Wer bin ich denn eigentlich abseits der Bühne“. Er habe etwas gebraucht, um den „Applaus-Entzug“ zu bewältigen und sich etwas anderes jenseits der Bühne zu fokussieren.

Von der Schwachstelle zum Markenzeichen

Die leicht raue, charismatische Stimme ist Herkenraths Markenzeichen. Das war nicht immer so. Von der schulischen Theater-AG gelingt ihm der Sprung zur Schauspielschule in München. Bald bekommt er massive Stimmprobleme, wird oft heiser. Existenzgefährdend für ihn, der ja vor allem mit seiner Stimme arbeiten will. 10 Jahre Stimmbildung braucht es, bis Herkenrath gelernt hat, sorgsam mit sich umzugehen. Er kennt die Abgründe des Schauspielerdaseins aus eigener Erfahrung, hat physische und psychische Kämpfe ausgefochten und überstanden. Heute bringt er diese biografischen Erfahrungen gewinnbringend in seine Vorträge und Seminare ein. Seine unverwechselbare Stimme sicher ihm viele Jahre Rollen in weit über 500 Hörspielen und Hörbüchern. Er wird im Fernsehen engagiert, u. a. von 1999-2003 in mehr als 80 Folgen der deutschen Supermarkt-Comedy-Serie Ritas Welt an der Seite von Gaby Köster. Irgendwann war die Spitze erreicht, die Originalität der Drehbücher ließ nach und damit auch die Lust am Spielen, erinnert sich Herkenrath.

Serendipity

Durch einen glücklichen Zufall wird Herkenrath gebeten, von einem überlasteten Management-Trainer ein Seminar zu übernehmen. Der Titel: Die Peperoni-Strategie. Herkenrath lehnt zunächst ab: „Manager bespaßen – das brauche ich so nötig wie Kopfschmerzen!“ Doch dann sagt er doch zu, sich das Seminar zumindest einmal anzusehen. Und ist überrascht über die Offenheit der Teilnehmer:innen aus der Führungsetage: „Sie waren aufgeschlossen, neugierig, bereit, etwas zu riskieren und Neues zu entdecken. Mit klopfendem Herzen sagte ich ein Probeseminar zu – und erkannte, dass ich für diese Tätigkeit 20 Jahre lang gelernt hatte, ohne es zu wissen.“ Herkenrath hatte bereits den Grundstein für ein völlig neues Berufsfeld gelegt. Er bereitet nun jene Felder auf, die kontextunabhängig in verschiedenen Wirtschaftsbranchen, in Verwaltung, Schulen und Bildung Dauerthemen sind: Präsenz, Ausstrahlung und Durchsetzungsvermögen, Motivation, Empathie und Ziele, Veränderung, Angst und Authentizität.

Gleichberechtigung

Mehr Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein möchte Herkenrath speziell an Frauen vermitteln – in Vorträgen, Seminaren und mit seinem Buch: Böse Mädchen kommen in die Chefetage: „Frauen müssen nicht immer nett sein, sie können auch entspannt Grenzen setzen, können Aggression als Kraftquelle verstehen und nutzen, Machtspielen erfolgreich begegnen, auf bestimmte Mechanismen nicht mehr reinfallen und mit Streitsituationen konstruktiv umgehen.

Lutz Herkenrath © Foto: alexlipp.de

Fragen und Hinterfragen

„Lässt sich nicht umsetzen… Das wird der Chef ablehnen… Das boykottieren die Kollegen… Das klappt nie…“ Mit solchen Bedenken hat es Herkenrath in seinen Seminaren häufig zu tun. Gerade dann läuft er zu Hochform auf und hakt hartnäckig nach: „Haben Sie es schon mal ausprobiert? Was hindert Sie daran? Was brauchen Sie, damit es gelingt? Wen können Sie sich mit ins Boot holen? Welche Informationen fehlen Ihnen?“ Ein guter Coach führt mit Fragen durch einen Entwicklungsprozess. Die Veränderung müssen die Teilnehmer:innen selbst herbeiführen. Rollenspiele können helfen, die Informationen und Erkenntnisse zu verinnerlichen. Was im Kopf angekommen ist, muss auch im Körper gespürt werden. Es werde spielerisch simuliert, was am Arbeitsplatz mit den Kolleg:innen vorfallen kann. Herkenrath gibt eine konkrete Situation vor, die von seinen Seminar-Teilnehmer:innen durchgespielt wird. Der Effekt: Jeder kann schon mal vorfühlen und verinnerlichen, was schlimmstenfalls passieren kann. In geschützten Möglichkeitsräumen lässt sich Mut und Vertrauen schöpfen und neue Verhaltensstrategien ausprobieren.

Reflexion

Wie sehe ich mich selbst? Wie sehen mich andere? In welchem Beziehungsgeflecht befinde ich mich? Welche Resonanzen entstehen durch mich? Antworten findet Herkenrath gemeinsam mit den Teilnehmer:innen. Manchmal seien die Erkenntnisse schmerzhaft. Die einen seien „Leistungstiger, die immer alles richtig machen wollen. Andere würden von innerlichen Zweifeln geplagt. Er begegne oft „Betonmenschen in Duldungsstarre“. Die seien einfach nur fest und gelähmt. „Das strahlen sie dann auch aus, wirken unsicher und unzufrieden. Um diese Leute zu erreichen, muss ich ihnen mein Herz öffnen“, sagt Herkenrath. Damit die Teilnehmer:innen locker machen, nutzt er Methoden aus dem Improvisationstheater, erzählt Herkenrath, z. B. Kauderwelsch-Sprechen. Herkenrath macht es im Interview vor (Podcast 24:00). Da gäbe es kein richtig oder falsch. Da könne man sich auch nicht auf Wissen berufen, sondern müsse einfach mal machen. Mut zum Experiment!

Dialog

„Es ist immer ein Geben und Nehmen in meinen Seminaren und Vorträgen“, sagt Herkenrath. Wie ein Forscher suche er bei seinen Seminar-Teilnehmer:innen nach Elementen, die er liebenswert findet und mit denen er sich verbinden kann. Das sei die Voraussetzung, damit so etwas wie Transformation, Bewegung, Veränderung bei den Menschen entstehen kann. Betonmenschen würden so zu lebendigen Menschen, entspannen sich und beginnen zu lächeln. Erst dann seien sie im Innern erreichbar.

Herkenraths Vorträge und Seminare sind daher beziehungsstark und unterhaltsam, abwechslungsreich und praxisnah. Das Publikum wird auf angenehme Art zum Mitdenken aktiviert und so bei der Stange gehalten. „Ein kleines Gedicht für Euch zum Schluss“, sagt Herkenrath. In diesen letzten Minuten klebt sein Publikum noch einmal besonders stark an seinen Lippen. Er zitiert das Gedicht Was Erfolg ist. Danach herrscht Stille im Saal, man könnte eine Stecknadel fallen hören. Herkenrath beendet die Lautlosigkeit nach einer gefühlten Ewigkeit: „Es ist diese Energie, die Euch erfolgreich macht. Es ist diese Energie, die Euch Hindernisse überwinden lassen wird. Es ist diese Energie… es ist ein sehr schönes Bild von hier oben und ich wünschte, Ihr könntet es sehen. Denn jeder von Euch ist ganz bei sich. Und wir müssen bei uns sein, wenn wir eine Brücke zu einem anderen Menschen bauen und authentisch sein wollen.“ Pause. Schlussapplaus. Jubel für den Speaker, Schauspieler und Trainer. Herkenrath ist alles in Personalunion.

Selbstbild als Künstler

„Sehen Sie sich in Ihren Vorträgen und Seminaren eher als Künstler oder als Dienstleister?“, frage ich Lutz Herkenrath. „Als Dienstleister, aber der Weg ist immer ein künstlerischer.“ Und die Methoden: spielen und improvisieren, fragen und reflektieren, um die Ecke denken, Perspektiven wechseln, ungewöhnliche Verbindungen herstellen. „Ich empfinde mich als Handwerker mit Intuition“, stellt Herkenrath fest. Seine Erfahrungen als Schauspieler kämen ihm dabei zugute, seine Spontaneität aus dem Improtheater.

Emotionen als Triebkraft

Welcher Bereich der Gesellschaft braucht gegenwärtig besonders dringend neue Impulse, frage ich Herkenrath. „Lehrer und Schulen“, sagt er prompt. “Ich bin da schon unterwegs, neulich bei einem Schulkongress. Für mich ist so schwierig, mit denen zu streiten, weil die das „richtig- falsch-Spiel“ spielen, indem sie sagen: Das ist richtig, das ist falsch. Lehrer seien oft Defizitsucher. Aber darum dürfe es nicht gehen, sondern: Wie können wir uns inspirieren? Wie können wir das, was wir haben, zusammenpacken? Die entscheidende Frage sei: Wie kommen die Lehrer an die Kinder ran? Der Verstand sei nur ein kleiner Teil. Es gehe um die Emotionen, den Bauch, um Ausstrahlung, Wirkung und Gefühle. Emotionen spielen eine Schlüsselrolle beim Lernen, sie motivieren und befähigen uns, über uns hinauszuwachsen, so Herkenrath: „Die Fixierung auf kognitive Fähigkeiten ist nicht das Leben. Der Neokortex ist nicht der Bestimmer. Entscheidend ist „Limbi“, das limbische System. Wenn wir bei den Emotionen anfangen, dann haben wir eine immense Kraft. Daher möchte ich mehr in diesem Bereich unterwegs sein und Menschen, speziell Lehrer, in Schwingung bringen.“

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DANKE!

Dieser Beitrag – bestehend aus Recherchen, Podcast-Interview und Artikel – entstand in der von mir konzipierten Themenreihe „K-Power – Kreatives Zirkeltraining“ im Zukunfts- und Stipendienprogramm der VG WORT im Rahmen von NEUSTART KULTUR, initiiert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).

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