Zivilgesellschaftliche Kreativität in ländlichen Regionen
Ländliche Regionen plagen große Sorgen: Demografiewandel, Abwanderung, Verödung und Globalisierung. Doch statt sich davon überrollen zu lassen, engagieren sich immer mehr Menschen in ihrem Umfeld für die Regionalentwicklung, insbesondere aus der Kultur- und Kreativbranche. Sie bringen ihr Wissen, ihre Kompetenzen, ihren Mut, ihr Herzblut, ihre Kraft, ihre Kreativität und vor allem viel Zeit ein, um ihr Leben aktiv mitzugestalten. Wer Selbstwirksamkeit spürt, Vertrauen und Wertschätzung von Mitmenschen erfährt, erkennt einen starken Sinn in seinem Tun und ist im Alltag psychisch und physisch gestärkt. Die folgenden Beispiele demonstrieren die Vielfalt:
Mestlin
Aus einer Bürgerinitiative entstand 2008 in Mecklenburg-Vorpommern der gemeinnützige Verein Denkmal Kultur Mestlin e. V. Die Dorfbewohner wollten das stark überdimensionierte, noch aus DDR-Zeiten stammende Kulturhaus erhalten und in Eigenregie leiten. Die Akteure, darunter viele Künstler, erarbeiteten ein Mischkonzept aus Kino- und Theateraufführungen, Konzerten, Veranstaltungen, Festivals, Schulungen und Ausstellungen. Das Haus bietet heute Arbeitsplätze für Künstler, eine Bühne, verschiedene Seminarräume, Gastronomie und Übernachtungsmöglichkeiten für externe Gäste. Sie kommen, um die besonderen kreativen Angebote vor allem in Nischenbereichen wahrzunehmen, zum Beispiel Behinderte, soziale Randgruppen, Senioren, Jugendliche.
© M. Grossmann, Pixelio.de
Rothen
Auch im mecklenburgischen Dorf Rothen ist mit dem Engagement vieler Künstler ein Ort für Kultur, Gewerbe und Kunst entstanden. Ein ehemaliger, heute denkmalgeschützter Kuhstall zieht Touristen mit Konzerten und Veranstaltungen an. Als Publikumsmagnet wirken auch Metallwerkstatt und Bauerngarten. Der Verein Rothener Hof zählt 75 Mitglieder. Die Künstler haben ein enges Netzwerk gebildet, unterstützen sich mit unterschiedlichen Kompetenzen, präsentieren sich gemeinsam auf einer Internetseite sowie auf Kunst- und Kulturmärkten.
Soziale Dorfentwicklung
In Mecklenburg-Vorpommern hat Corinna Hesse, Sprecherin von Kreative MV – Netzwerk der Kultur- und Kreativwirtschaft und Verlegerin im Silberfuchs-Verlag, für das nördliche Bundesland den Wettbewerb Soziale Innovationen von kreativen Raumpionieren initiiert. Beworben haben sich 36 zivilgesellschaftliche Projekte zwischen Kreativschaffenden und Bürgern. Ländliche Regionen profitieren von den kreativen Ideen für ein sinnstiftendes Zusammenleben. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung hat das Modellvorhaben unterstützt, das die Potenziale von Kreativen stärker nutzen möchte, z. B. für Perspektivwechsel und Querdenken, Mut und Experimentierfreude. Im Fokus stehen auch gesellschaftsgestaltende Prozesse mit künstlerisch-kreativen Methoden, die auf die besonderen Herausforderungen in der Region eingehen. Die besten drei Projekte wurden von einer unabhängigen Jury ausgewählt und mit Projektmitteln von insgesamt 10.000 Euro unterstützt. Erstplatzierter des Wettbewerbs ist das Projekt im Ort „Rögnitz.Ausbau 3.0“, der seine Zukunft mit der DesignThinking-Methode plant. Die zehn Nominierten berichten im Interview über ihre Zukunftsideen:
Roadshow – Wanderausstellung Raumpioniere
Mit Unterstützung der Friedrich Ebert Stiftung – Landesbüro MV sowie dem Landesfrauenrat MV entstand eine Wanderausstellung zu den 10 nominierten Projekten im Landeswettbewerb für kreative Raumpioniere. Die RollUps können an interessierte Partner kostenfrei ausgeliehen und gezeigt werden. Die Motive können kostenfrei über ein Download genutzt werden.
Preisverleihung
Am 24. Oktober 2019 fand die Preisverleihung zum Landeswettbewerb Kreative Pioniere statt – im Rahmen des ganztägigen Forums „Business for Future“ im Digitalen Innovationszentrum DIR im Perzina-Haus in Schwerin statt. Eine Keynote zum Thema „Sozial-kreative Innovatoren als Zukunftsmacher in MV“ hielt Projektleiterin Corinna Hesse. Antje Hinz moderierte eine Podiumsdiskussion zum Thema „Perspektiven: Wie können kreative Zukunftsmacher noch bedarfsgerechter gefördert werden“. Hier ein Audio-Mitschnitt, der als Podcast erschienen ist:
Wendland
Das Wendland steht seit über 30 Jahren für seinen unermüdlichen Widerstand gegen die Atomkraft, Castortransporte und Atommülllagerung. Die dünn besiedelte
und von Abwanderung bedrohte Region erprobt zugleich höchst kreative Modelle des Zusammenlebens. Überdurchschnittlich viele Künstler und Kreative gestalten
das soziale Leben aktiv mit. Sie wollen das Aussterben der Dörfer nicht hinnehmen, beleben ihre Regionen neu. Die kreativen Angebote der Ideen- und Innovationsschmiede Grüne Werkstatt Wendland – neuerdings ergänzt vom WendlandLabor, das verstärkt soziale Innovationen vorantreiben will – locken sogar Großstädter aus den Metropolen an, u. a. Designstudenten von künstlerischen Hochschulen. Nicole Servatius erzählt im Podcast ausführlich über das Projekt.
Kulturelle Landpartie
Ein Publikumsmagnet für Bürger aus Stadt und Land ist die alljährlich stattfindende Reihe Kulturelle Landpartie sowie weitere Theateraufführungen und Musikfestivals im Wendland. Die Initiative ZuFlucht Wendland plant für 300 Menschen ein interkulturelles Mehrgenerationendorf. Das Hitzacker-Dorf soll Heimat und Arbeitsplätze für Einheimische und Geflüchtete schaffen, ein visionäres Modell mit Vorbildcharakter auch für andere Regionen in Europa. Das Sozialexperiment in dem extrem strukturschwachen Gebiet wächst stetig, vor allem durch das außergewöhnliche Engagement der Bürger. Den organisatorischen und finanziellen Rahmen für die geplanten Wohnungen, Gewerbeflächen, Läden und Obstplantagen bildet die neu gegründete Genossenschaft Hitzacker Dorf eG iG, die auch das Bauland erworben hat. Hauke Stichling Pehlke erzählt im Podcast ausführlich über das Projekt.
Veranstaltungshinweis
Projekt: Zukunft@Land – Wie realisiere ich meine Projektidee im ländlichen Raum?
Workshop des Kreiskulturrates Ludwigslust-Parchim in Kooperation mit Wir bauen Zukunft eG in Nieklitz, Ceylan Rohrbeck und Nadine Binias, Stadt-Land-Expertin
WANN? 21.11.2019, 15-19 Uhr
WO? Wir bauen Zukunft eG | Holzkruger Str. 1 | 19258 Nieklitz (Gallin), Landkreis Ludwigslust-Parchim in der Metropolregion Hamburg
Bitte bis zum 15.11. anmelden unter diesem Link
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