© Olga Meier-Sander, Pixelio

Theater: Neue Heimat auf der Bühne

Reihe: Hilfe für Geflüchtete – Ideen und Impulse aus der Kreativbranche, Teil 2 – Theater

Künstler und Kreativschaffende aus unterschiedlichen Branchen unterstützen überall in Deutschland Geflüchtete: egal ob im Theater oder auf der Opernbühne, in Film- oder Tonstudios, in Architektur- oder Designwerkstätten, in Kunst-Ateliers oder in multikulturellen Küchen, bei Flashmobs, Tanzperformances oder in Game-, App- und Web-Laboren. Die Beispiele der folgenden 10teiligen Blogreihe zeigen, dass Deutschlands Kreativszene ein starker Innovationsmotor für eine gelungene Integration ist, die Parallelgesellschaften vorbeugt und damit uns allen hilft.

70531_web_R_K_B_by_S. Hofschlaeger_pixelio.de © S. Hofschlaeger, Pixelio

Theater I: Neue Heimat auf der Bühne – Hajusom

1999 haben die beiden Theaterpädagoginnen und Regisseurinnen Ella Huck und Dorothea Reinicke die Theatergruppe Hajusom in Hamburg gegründet. Sie bietet unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten in neue große „Familie“. Der Name Hajusom setzt sich aus den Silben von drei jungen Geflüchteten zusammen, die das Projekt mit initiiert haben: HAtice aus Kurdistan, JUSef aus Afghanistan und OMid aus dem Iran. Die Formate und Stücke werden von den Jugendlichen selbst entwickelt und erzählen von persönlichen Erlebnissen, Traumata während und vor der Flucht, kombiniert mit Musik, Gesang und Tanz. „Wir haben kein pädagogisches Konzept, sondern behandeln die Jugendlichen als junge Künstler“, sagt die Leiterin Dorothea Reinicke. Bei Tourneen muss das Ensemble viele Herausforderungen meistern – durch die oft nur befristete Aufenthaltserlaubnis oder Duldung oder durch laufende Asylverfahren mit Residenzpflicht in Hamburg. Kunst und Leben fließen zusammen: Neben der Probenarbeit finden die jungen Geflüchteten auch beim gemeinsamen Kochen und Reden zueinander. Probleme werden mit allen diskutiert. Co-Regisseurin Katalina Götz: „Wir haben keine Leitkultur, wir nehmen das Beste von allem und wollen, dass die Kanten zwischen den einzelnen Kulturen weniger scharf sind.“

680426_web_R_K_B_by_Rainer Sturm_pixelio.de © Rainer Sturm, Pixelio

Theater II: Vertreibungsgeschichten Mozart-Opern

Anfang 2014 gibt die Stiftung Heimat aus Syrien geflüchteten Muslimen in einem ehemaligen Franziskanerkloster in Oggelbeuren bei Biberach ein neues Zuhause. Einheimische und Künstler in der oberschwäbischen Gemeinde bewegte nur eine Frage: Wie lassen sich Sprachlosigkeit und kulturelle Barrieren überwinden? Der Verein Zuflucht Kultur e.V. plant eine Begegnung auf der Opernbühne mit Musik von Wolfgang Amadeus Mozart. Nach dem Erstprojekt „Cosi fan tutte“ wirken die Geflüchteten nun in „Zaide. Eine Flucht“ mit und planen bereits die nächste Aufführung der Oper „Idomeneo“. Gastspiele fanden und finden in zahlreichen deutschen Städten und auch im Ausland statt, zu politischen Anlässen, u. a. bei der UNO und im Deutschen Bundestag, bei Kongressen, in Museen und im Fernsehen, beim Deutschen Kirchentag und bei Anti-Pegida-Demonstrationen.

Jede/r Geflüchtete bringt sich nach Talent und Neigung in die Inszenierungen ein – vom Bühnenbildbau über Stimm- und Körperarbeit bis zur Konzeption von Texten und der Einbindung traditionell syrischer Lieder. Das von Mozart unvollendete Libretto zur Oper „Zaide“ wurde in enger Zusammenarbeit mit geflohenen Künstlern aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und Nigeria neu geschrieben. Es geht dabei um die Flucht aus dem eigenen Land und die damit verbundenen Schwierigkeiten und Konsequenzen. Rollen und Perspektiven werden vertauscht: Plötzlich werden Deutsche zu Bittstellern in einem arabischen Land. Der andere Blickwinkel verhilft zu mehr Empathie: Begegnen wir in Deutschland den Geflüchteten so, wie wir es uns selbst in einem anderen Land wünschen würden?

Der Verein Zuflucht Kultur e.V. entstand unter dem Dach der Stuttgarter Symphoniker, will Mut für ein interkulturelles Miteinander machen. Im „Ensemble Zuflucht“, spielen professionelle Musikern der Münchner Philharmoniker, des Bayerischen Staatsorchesters, der Augsburger Philharmoniker, des Theaters Ulm und der Staatsoper Stuttgart. „Oper ist eine zeitlose Gattung“, sagen die Initiatoren, „die aktueller reagieren kann als manch modernes Medium. Sie schafft Begegnung auf dem Boden der Kunst.“

644155_web_R_K_B_by_Rainer Sturm_pixelio.de © Rainer Sturm, Pixelio

Theater III: Bürgergipfel über „Das neue Wir“

Das jährlich im Hamburger Thalia Theater stattfindende internationale Festival Lessingtage nimmt gesellschaftlich relevante Themen in den Fokus. 2016 geht es um den gesellschaftlichen Wandel durch Flüchtlinge. Asylsuchende, Hamburger Bürger und Experten diskutieren im Thalia Theater bei einem Gipfel über „Das neue Wir“. Joachim Lux, Intendant des Thalia Theaters, betont: „Theater kann nicht alle Fragen beantworten, aber es kann sie zumindest stellen und aus möglichst vielen Perspektiven auf das Thema Flucht und Menschlichkeit  blicken.“ Das Thalia Theater hat bereits im letzten Jahr in seiner kleineren Spielstätte in der Gaußstraße ein Flüchtlingscafé eingerichtet. In Elfride Jelinineks Stück „Die „Schutzbefohlenen“ arbeiteten Geflüchtete der Lampedusa-Gruppe auch als Darsteller auf der Bühne.

Auch das Schauspielhaus in Hamburg kooperiert mit Geflüchteten auf der Bühne, z. B. in Karin Beiers Schiff der Träume und richtete zeitweise eine Notunterkunft für Geflüchtete im Foyer des Malersaals ein.

640809_web_R_K_B_by_Didi01_pixelio.de © Didi01, Pixelio

Theater IV: Begegnungen an ungewöhnlichem Ort

Regisseur Olek Witt leitet das Theater der Migranten. Für das Projekt «Herz der Finsternis» hat er Geflüchtete und Schauspieler mit Zuschauern zusammengebracht, allerdings nicht im Theater, sondern bei einer nächtlichen Expedition auf Berliner Gewässern. Geflüchtete und Schauspieler wechseln die Rollen, Grenzen und Räume verschieben sich, Identitäten geraten in Zweifel.

693866_web_R_K_B_by_Th. Reinhardt_pixelio.de © Th. Reinhardt, Pixelio

Theater V: Gemeinsames Lachen und Weinen

Die Berliner Schaubühne brachte mit Flüchtlingen die Inszenierung «Letters Home» auf die Bühne. Die selbstverwaltete Flüchtlingstheatergruppe Refugee Club Impulse zeigte dabei die Erfahrungen von Flüchtlingen in Berlin. Die Gruppe trifft sich mittwochs ab 19 Uhr im JugendtheaterBüro Berlin der Initiative-Grenzen-Los! e.V. in Berlin-Moabit. Mit Theater, Tanz, gemeinsamem Essen, miteinander reden auf Augenhöhe, mit viel Austausch, Lachen und Weinen sollen neue Kräfte entstehen.

© Jörg Brinckheger, Pixelio

Theater VI: Kunst und Obdach im Theater

Amelie Deuflard, der Intendantin von Kampnagel in Hamburg ist es zu verdanken, dass eine temporäre Spielstätte des Kampnagel-Sommerfestivals für Geflüchtete winterfest gemacht wurde. Das Hamburger Künstlerkollektiv Baltic Raw initiierte dort 2015 einen Aktionsraum für Geflüchtete der Lampedusa-Gruppe. Die Ecofavela Lampedusa-Nord ist ein hölzerner Nachbau des umkämpften Hamburger Kulturzentrums „Rote Flora“ im Schanzenviertel und erfüllte die ökologischen Standards eines Passivhauses. Einen Winter lang fungierte die Ecofavela als Unterkunft und Begegnungsraum. Die dort untergebrachten Flüchtlinge der Lampedusa-Gruppe lebten in Hamburg zunächst auf der Straße, bevor ein Teil von ihnen vorübergehend Unterschlupf in der St.-Pauli-Kirche fand. Die Ecofavela auf Kampnagel ermöglichte einen sozialen Dialog auf Augenhöhe zwischen Künstlern und Geflüchteten. Berndt Jasper von Baltic Raw: „Das Projekt ist eine Art soziales Labor, Aktionskunst mit dem Ziel, die Flüchtlinge zu integrieren.“

Theater VII: Ort der Begegnung

Das Theater Vorpommern, die Landeszentrale für politische  Bildung MV und die Bundeszentrale für  politische Bildung bieten ab März 2016 für drei Monate Projekte für alte und neue Nachbarn, für Schüler, für Familien und Erwachsene an:
a)   Neue Nachbarn in Gemeinschaftsunterkünften und alte Nachbarn aus dem deutschen Umfeld können  einen Erlebnistag am Theater Vorpommern unternehmen, um sich im Laufe eines Ausflugs in einem Bus mit 50 Personen näher kennen zu lernen. Das Theater bietet ein gemeinsames Essen, eine Führung hinter die Kulissen des Theaters und einen Aufführungsbesuch. Die Angbeote sind sprachlich niedrigschwellig (z.B. Musical, Ballett, Oper o.ä.). Deutsche Gäste zahlen 6,- € p.P., Neubürger zahlen keine Gebühr. Anfragen an: h.heuer@theater-vorpommern.de (Hans-Dieter Heuer).
b)   Familien und Einzelpersonen können gemeinsam mit ihren neuen Nachbarn imRahmen des Kulturpaten-Projekt eine Vorstellung am Theater besuchen. Die Kartenpreise reduzieren sich auf 6,- €, Flüchtlinge erhalten Freikarten. Eine Voranmeldung ist unbedingt notwendig unter: h.heuer@theater-vorpommern.de (Hans-Dieter Heuer)

Reihe: Hilfe für Geflüchtete – Ideen und Impulse aus der Kreativbranche

Teil 1. Prolog: Hilfe aus der Kreativbranche für Geflüchtete

Teil 2. Theater: Neue Heimat auf der Bühne

Teil 3. Musik: Bridges – Musik verbindet

Teil 4. Museum: Mit Kunst gegen den Hass

Teil 5. Kunst und Design: Geschichten aus dem Automaten

Teil 6. Architektur: „Instant Home“ mit Origami-Technik

Teil 7. Web, Apps, Games: Flucht als Selbsterfahrung

Teil 8. Kreatives für Geflüchtete: Kochen, Gärtnern, Flashmobs

Teil 9. Kulturarbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen

Teil 10. Medien für Geflüchtete: Ankommen und Lernen

Teil 11. Bürgeridee: Schulungsprogramme über Monitore für Geflüchtete

Teil 12. Nachlese: Kreative Ideen für Geflüchtete aus der Community

Aufruf: Noch mehr kreative Ideen für Geflüchtete gesucht!

Was können Künstler für Geflüchtete tun? In meinem Blog MassivKreativ stelle ich engagierte und nützliche Projekte von Kreativschaffenden vor. Die Liste der guten Beispiele soll weiter wachsen und anderen Mut machen, die ebenfalls Aktivitäten planen! Wenn Sie weitere kreative Projekten für Geflüchtete kennen, die ich bislang nicht erwähnt habe, schicken Sie mir gerne Ihre Infos. Ich sammle sie und berichte in einem neuen Artikel über weitere innovative Projekte.  Infos bitte an mich: kreativ@massivkreativ.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mit dem Absenden des Kommentars bestätige ich, dass ich die Datenschutzerklärung zu Kenntnis genommen habe.